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Altoetting

Altoetting

Titel: Altoetting Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo Swobodnik
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weil er zuerst immer ziemlich langsam im Verstehen war. Wenn er aber erst mal das, was es zu verstehen gibt, verstanden hatte, dann war Plotek ein Kombinationswunder. Jetzt stand er aber mit beiden Beinen auf der Leitung, folglich war sein Blick wieder wie ein Schwamm. Was aber kein Problem war, wegen der Telepathie von Manuel. Hat der dem Plotek eben alles erklärt.
    »So kann der Mengele den Jesus natürlich nicht spielen. Das ist ausgeschlossen, mit Gips und Armstütze. Ganz unmöglich ist das, wo denken Sie hin.«
    Plotek hat überhaupt nicht gedacht. Und Manuel hat ihm dafür auch gar keine Zeit gelassen, sondern in einem fort Worte durch den Hörer gejagt.
    »Wie sieht das denn aus? Also, der Judas mit Gips, das ist noch in Ordnung, unter einem wallenden Gewand kaschiert merkt das vielleicht ohnehin niemand. Aber Jesus mit Gips und Armstütze? Das ist wirklich unvorstellbar. Die Segnungen können doch jetzt nicht plötzlich einfach wegfallen, nur weil unser Jesus einen Gips mit Armstütze trägt. Und die Segnungen mit Gips sind einfach lächerlich. Und wie sieht das aus, wenn der Jesus hinkt? Behindert sieht das aus! Er erlöst den Lahmen von seinem Leiden, macht den Blinden sehend und ist selbst schwerst behindert. Der Jesus behindert! Gottes Sohn ein Krüppel? Blasphemie! Jaja, das wäre doch Blasphemie. Das würde unser Guardian, der Pater Martin, nie erlauben. Also, ich sag es mal gerade heraus, Herr Plotek, könnten Sie sich vorstellen, den Jesus zu übernehmen?«
    Wieder entstand eine Pause, in der Ploteks Verständnis langsam zurückkehrte, also kein Schwammblick mehr. Und trotzdem setzte Manuel nach. Das war Telepathie, mit Schwächen jetzt.
    »Ich weiß, das ist nicht einfach, diese Riesenrolle in nur einer Woche auf die Bühne zu stemmen. Das ist Irrsinn, ich weiß, aber es sind nun mal nur noch fünf Tage bis zur Premiere, zur Eröffnung der Altöttinger Passionsspiele, und verschieben lässt sich da nichts mehr. Ich bitte Sie, die Hotels sind gebucht, die Eintrittskarten verkauft, alles ist organisiert. Ich weiß, in so kurzer Zeit den Jesu zu übernehmen, das ist natürlich der Wahnsinn. Aber, Herr Jesus, ich meine, Herr Plotek, mal ehrlich, wer, wenn nicht Sie?«
    »Und der Judas?«
    »Arno.«
    Apropos Arno, dachte Plotek jetzt, ob es solche Zufälle gibt?
    »Aber der wollte doch nicht.«
    »Jetzt geht es nicht mehr um wollen, jetzt geht es um sein oder nicht sein, Herr Plotek!«

    Plotek hat dann die ganze Nacht kein Auge mehr zugemacht. Aber nicht so sehr wegen Mengele und dem Überfall, auch nicht wegen Arno und seinem Verdacht gegen ihn. Damit hat Plotek sich überhaupt nicht beschäftigt. Sondern wegen der Gedanken über Jesus und dem daraus resultierenden Klopfen unter der Schädeldecke. Das war schlimmer als je zuvor. Je mehr Plotek an Jesus dachte, umso größer wurde der Schmerz. Also einfach nicht an Jesus denken, hat Plotek gedacht, aber denkste. Natürlich versuchte Plotek, an etwas anderes zu denken. Vergiss es. Er hat zum Beispiel an rosarote Elefanten gedacht, an senfgelbe Weizenfelder, an schneebedeckte Bergspitzen und – Fehler! Schon war er wieder bei der Kindheit angelangt, weil damals auf der Tapete in seinem Kinderzimmer rosarote Elefanten, senfgelbe Weizenfelder und schneebedeckte Bergspitzen drauf waren. Sofort kamen Assoziationen und noch mehr Schmerzen und wieder Assoziationen und Bilder, Szenen, Töne: Schuss, Schweinequietschen, Schuss, Schweineschlachten, »Paaaaaauuuuul«, schreit der Vater im Hof. Der kleine Plotek steht hinter dem Schwein, das Schwänzchen der toten Sau in der einen, den Kochlöffel im dampfenden Blutkübel in der anderen Hand, »Rüüüühr schneller, vorwärts!«, schreit es aus dem Vater, keine Chance auf Verweigerung für den Sohn. Also, hat der kleine Plotek im Topf vom großen Plotek eben das Blut gerührt. Und da verspürte der große Plotek wegen dem kleinen Plotek noch heftigeres Klopfen als wegen Jesus. Also, weg mit den Gedanken an die Elefanten, die Weizenfelder, die Bergspitzen und die Kindheit und wieder hin zum Jesus. Und da blieb Plotek dann mit glühender Stirn die ganze Nacht. Die Folge waren Schmerzen und kein Ende. Das Kopfschmerzpulver konnte Plotek nicht bei sich behalten, Aspirin war nicht greifbar, also blieb nichts als Leiden. Bis zum nächsten Morgen. Da war Plotek dann das Leiden Christi höchstpersönlich. In diesem Zustand wäre für Plotek nur noch wenig zu spielen gewesen, eins zu eins auf die Bühne bringen und

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