Altoetting
direktem Weg in seiner Lunge gelandet. Außerdem, wenn Plotek eines nicht ausstehen konnte, dann körperliche Nähe. Nicht vom weiblichen Geschlecht und vom männlichen schon gar nicht. Am schlimmsten war aber der Kontakt zu Kranken. Am allerallerschlimmsten zu kranken Männern. Nicht nur wegen der Hypochondrie, auch wegen der geistigen Bedrängnis: Zu enger körperlicher Kontakt hat Plotek geradezu den Verstand geraubt.
Vom Stuhl nebenan meldete sich jetzt eine Stimme aus einem Gesicht wie ein Streuselkuchen. Das Gesicht war voll mit Pusteln und Eiterbällchen, rot gefleckt, schimmernd, ekelhaft.
»Das Ergebnis vom Untersuchungstechnischen aus München hat ergeben, dass die Uhr nicht vom Mutschler stammt, weil der hat seine getragen. Das Seltsame dabei ist, dass auf beiden Uhren die Zeiger auf zwei vor halb zwölf stehen geblieben sind.«
Ein kollektives Nachdenken setzte ein. Eine gekräuselte Stirn vom Schal und vom Streuselkuchen waren die Folge, aber auch alle anderen im Zimmer haben überlegt. Ein Wartezimmer voller Stirnfalten.
»Das war die Tatzeit!«, hat der Streuselkuchen dann wieder gesagt.
»Höchstwahrscheinlich ist das die Uhr vom Täter«, legte der Schal hauchend nach und zeigte mit dem Finger auf die abgebildete Uhr im Alt-Neuöttinger Anzeiger. Dabei hinterließ er geldstückgroße Schweißflecke vom verschwitzten Finger in der Zeitung.
Erneute Falten.
»Kennen Sie den?« Wieder ist ein Finger im Alt-Neuöttinger Anzeiger aufgetaucht. Und wieder Schweißflecken. Ein Fotoschnipsel war abgebildet, neben der Uhr. Darauf konnte man einen Mann erkennen – jung, lachend. Das Foto war von schlechter Bildqualität, es war vergilbt, bruchstückhaft und an den Seiten ausgerissen.
»Das ist der junge Mutschler. Der Fotoschnipsel war auch in der Mauer«, sagte der Schal, während Plotek noch dachte, heißt es jetzt nicht das, das Schnipsel? Aber egal.
Der Schal hat wieder gehustet. Dann »Hatschi« und wieder »Gesundheit!« von allen anderen.
». . . auch vom Untersuchungstechnischen, weil anscheinend war das nicht einfach zu rekonstruieren, wegen den ganzen Betonrückständen auf dem Bild«, erzählte der Streuselkuchen dann schon in die »Gesundheit« hinein, so dass der Anfang darunter völlig unterging und nicht zu verstehen war.
»Bei der heutigen Technik ist nichts unmöglich«, war wieder eine andere Stimme zu hören. Weder gehörte sie dem Schal noch dem Streuselkuchen, dafür einer Frau mit Gips und einen Arm in der Schlinge, auf dem Stuhl schräg gegenüber.
»Es ist sogar noch viel mehr möglich«, flüsterte der Streuselkuchen jetzt. »Mutschlers . . . äh, Dings . . . also . . . sein Reißverschluss . . . ich mein jetzt. . . an der Hose . . . mein ich . . . also, der Hosenlatz . . . also, der war also . . . offen war der«, hat der Streuselkuchen herumgestottert. Das klang wie Worte aus Mürbeteig und eine Syntax aus dem Mixer. »Und . . . und . . . das . . . das Dings . . . also sein, Sie wissen schon . . . also . . . das . . . bevor, na ja, Sie wissen schon . . .«
Das wusste Plotek natürlich nicht, wegen dem geraubten Verstand und der körperlichen Nähe.
»Vom . . . vom . . . Gerichts . . . Dings . . . Medizinischen her. . . jetzt.«
Diesmal lagen die Stirnen nicht in Falten, dafür hat sich ein Schmunzeln auf das Gesicht vom Schal geschlichen und auf das vom Streuselkuchen und aller anderen Stühle auch. Plotek dagegen war mal wieder ohne jegliches Verständnis^ Alles kam ihm vor wie ein Rätsel.
Mit »Herr Plotek, Sie sind dran!«, hat die Maria Magdalena, also die Merz Monika, Plotek vom Warten erlöst. Und vor allem vom Schal und vom Streuselkuchen. Er ist an den anderen vorbei und hinein zum Herrn Doktor. Der wusste ebenfalls ganz genau, wer da vor ihm saß. Deswegen war er auch scheißfreundlich. Zuerst hat Doktor Kainz Ploteks Blutdruck gemessen, die Lunge abgehört und ist die ganze Routineuntersuchung durchgegangen, wegen dem Grippeverdacht und allem. Währenddessen redete der Doktor wie ein Buch. Das einzige Thema war auch hier das Passionsspiel.
»Das wird ja immer kurioser, Herr Plotek. Jetzt fällt auch noch der Mengele aus. Also, ich weiß nicht. Die Passionsspiele scheinen unter keinem guten Stern zu stehen. Gestern der Mutschler, heute der Mengele.«
Erstaunlich, dass der Doktor auch schon über den Men gele informiert war. Kleinstadt eben, überall kurze Wege und alles. Und dennoch, seit dem Überfall war gerade mal eine Nacht vergangen, hat Plotek
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