Altoetting
wieder am selben Strick gezogen. Da hat der Fremdenverkehrsdirektor interveniert und der Erste Bürgermeister und Brunner junior auch. Es hieß, Privates hintanstellen, es geht um Altötting. Und das hat dann angeblich auch funktioniert.«
Jetzt stellte der Doktor noch ein Rezept aus, wobei er kein Wort sprach. Vielleicht wegen der Konzentration. Eine seltsame Stille war jetzt im Sprechzimmer, ähnlich wie beim schwarzen Quadrat, nur das Kratzen vom Kugelschreiber war zu hören. Unheimlich, fand Plotek.
»Zweimal eine nach dem Essen, mittags und abends!«, hat der Doktor noch gesagt.
Und dann, schon beim Hinausgehen, während er Plotek an der Tür mit beiden Händen die Hand schüttelte, hat der Doktor nebenbei noch fallen gelassen: »Herr Plotek, wenn der Premierenstress dann vorbei ist, überweis ich Sie zum Neurologen, dann machen wir mal eine Computertomographie.«
Dann hat er ihm noch alles Gute gewünscht und »Toi, toi, toi«.
Gott sei Dank hat er ihn nicht bespuckt.
Dann huschte Plotek an der Maria Magdalena, also der Merz Monika, vorbei. Die tippte sich nur mit dem Finger an die Stirn, quasi: Der Doktor hat sie nicht mehr alle. Plotek hat genickt und die Merz Monika »Der Nächste bitte!« ins Wartezimmer gerufen.
Auf der Straße sind Plotek die Worte vom Doktor wieder zurück ins Gedächtnis gerutscht. Computertomographie, Neurologe. Das waren für Plotek natürlich Worte wie Messerstiche. Also, ein augenblickliches Sterben nicht ausgeschlossen. Allein durch die Artikulation der beiden Wörter war die Diagnose für Plotek bereits unumstößlich: Tumor. Gehirntumor. Malignes Neoplasma. Keine Überlebenschance und Tod in wenigen Wochen. Ab jetzt fing Plotek schon an, die verbleibenden Tage zu zählen. Darüber sollte man keine Scherze machen, aber für Plotek war das alles andere als scherzhaft, für Plotek war das todernst. Immer wenn er an den Tod dachte, entstand sofort ein Zerstörungsdrang in ihm. Eine Autoaggression durch Rauchen, Trinken und alles im Übermaß. Todesangst provoziert Todessehnsucht. Plotek ging also am Bruder-Konrad-Platz zuerst in den Gasthof Zwölf Apostel . Er wollte dem Tod trotzen und ein Glas aufs endende Leben trinken. Prost! Im Zwölf Apostel wartete dann schon Arno auf ihn. Vielleicht hatte der auch Todessehnsucht, oder vielmehr eine Angst, die Angst eines allzu gern Lebenden, die Angst, dass etwas gesehen werden könnte, wo nichts ist.
»Du darfst jetzt nicht denken, dass ich. . . nein, ich hab den Sparkassendirektor nicht auf dem Gewissen«, hat Arno fast flehentlich gesagt.
Plotek konnte ab jetzt aber an nichts anderes mehr denken als an seinen Tumor. Er hat ihn wachsen hören, gedeihen, wie andere Gras. Und trotz Spritze verspürte er jetzt wieder Schmerzen. Aber ganz anders dieses Mal, kein normaler Kopfschmerz war das. Von hinten am Hinterkopf entlang über den ganzen Schädel hinweg hat ein ziehender Schmerz an seinen Nerven gezerrt. Dann plötzlich nur noch an einer geldstückgroßen Stelle. Wo der Tumor eben drückt, dachte Plotek und sah sich bereits langsam sterben. Arno dagegen hat Ploteks Reaktionslosigkeit als Misstrauen ausgelegt und sich weiter um Kopf und Kragen geredet.
»Ehrlich, Plotek, das wäre ja Wahnsinn! Ich hab mit ihm reden wollen. Ich bin gleich vom Hotel aus zu ihm hin. Aber er war nicht zu Hause. Die Marion, also seine Frau, hat gesagt, er wäre noch in der Bank, also bin ich dann gleich dahin, aber es war zu spät. Der Mengele lag schon auf dem Boden in der Kundenhalle, am Kopf hat er eine Platzwunde gehabt, die Hand war verdreht und gejammert hat er wie ein Säugling. Ich hab sofort den Notarzt angerufen. Ehrlich, ich hab damit nichts zu tun. Das musst du mir glauben.«
Na ja, für Glaubensfragen war Plotek generell nicht zuständig. Und im Speziellen schon gleich gar nicht. Außerdem war ihm Mengele egal. Der Mühldorfer Kriminalpolizei dagegen ganz und gar nicht. So hysterisch wie die jetzt ermittelten, mussten die natürlich sofort einen Zusammenhang zu den Altöttinger Passionsspielen vermuten. Quasi, nun aber los und Versäumtes nachholen. Mutschler ist ermordet worden, Mengele überfallen, vorher sind Zeiler und Granz auf seltsame Weise ums Leben gekommen, und alle waren Darsteller bei den Passionsspielen. Also, wer da nicht den Grund irgendwo in der Nähe der Passionsbühne vermutete, hatte keine Ahnung von Kriminalistik. Jetzt wurde auch bei der Kriminalpolizei die Frage gestellt, die alle Altöttinger von nun an beschäftigen
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