Altoetting
Doktor und sein »Herr Plotek«. Obwohl die Erzählung interessant war, ja, das schon, aufschlussreich und alles.
»Na ja, Herr Plotek, die Ermittlungen wurden eben viel zu schnell eingestellt. Aber irgendwo ist das natürlich auch nachvollziehbar«, hat der Doktor sich nicht unterbrechen lassen und gleichzeitig Plotek ein Pflaster auf den Oberarm gepappt. »Ja, man geht eben immer zuerst von der Normalität aus, und die wäre, dass ein Zimmermann auch mal vom Dach fällt, also berufsbedingt eben. Da hat man sich dann nichts weiter dabei gedacht. Und die Mühldorfer Kriminalpolizei erst recht nicht, obwohl die immer vom Übelsten ausgehen sollte. Na ja, Herr Plotek, stimmt schon, der Zeiler war eben auch der erste Judas. Da haben der Granz und der Mutschler ja noch gelebt. Da musste man zwangsläufig noch an einen Unfall denken, an einen Fehltritt, obwohl der Zeiler ein erfahrener Mann war. Der war sogar Bergsteiger. Wie eine Katze ist der auf den Dächern herumgeklettert und hat sich da oben blind bewegt, Herr Plotek. Das Einzige, was die Kriminalen gewagt haben zu denken, war Selbstmord. Selbstmord! Ha! Dass ich nicht lache, völliger Blödsinn ist das. Ausgeschlossen ist das. Jemand wie der Zeiler bringt sich nicht um, Herr Plotek. Warum auch? Ich war sein Hausarzt, wer soll es wissen, wenn nicht ich. Da gab es keine Anzeichen. Überhaupt keine. Depressionen waren dem Zeiler völlig fremd. Das Geschäft lief, in der Beziehung war alles bestens. Der war quasi ein glücklicher Mensch. Obwohl das Glück ja eine Regenpfütze ist, Herr Plotek. Bei zu viel Sonne verdampft sie. Doch beim Zeiler war’s ein See. So viel Sonne gibt es gar nicht.«
Jetzt machte Doktor Kainz eine kurze Pause, so dass es ganz ruhig im Sprechzimmer wurde. Unheimlich. Er starrte an die Wand, und da hing auf Augenhöhe ein schlechter Kunstdruck. Ein schwarzes Quadrat auf weißem Grund, sonst nichts. Da hat Doktor Kainz draufgeguckt und Plotek aus den Augenwinkeln heraus auch. Und beide konnten nicht mehr wegschauen. Als ob beide ein und denselben Gedanken gehabt hätten, nämlich: Das schwarze Quadrat ist wie ein Nadelöhr, durch das alle hindurchmüssen. Da gibt es dann Tausende von Strategien. Das reicht vom Tanz ums Nadelöhr bis zum Vorbeischielen. Manche blähen sich mitten im Nadelöhr beim Durchqueren auf, und manche gehen glatt durch, drehen sich noch mal um und machen winke, winke. Wie lange Plotek und Doktor Kainz so dagesessen sind und auf das schwarze Quadrat gestarrt haben – keine Ahnung. Auf jeden Fall fing Doktor Kainz irgendwann wieder an zu sprechen, viel leiser jetzt, gedämpft, als ob es niemand hören dürfte. Außer Plotek natürlich.
»Ich hab ja von Anfang an gedacht, da ist was faul, Herr Plotek. Ich hab ja den Granz, den Milchfahrer, in Verdacht gehabt. Ja, ich hab gedacht, dass vielleicht der Granz dahintersteckt, hinter dem Tod vom Zeiler. Weil, der Granz und der Zeiler waren ziemliche Konkurrenten. Früher waren sie dicke Freude. Ja, sogar gemeinsam Theater gespielt haben sie, und in der Musikkapelle waren sie auch zusammen. Aber dann ist irgendeine Frauengeschichte dazwischengekommen. Seitdem waren die spinnefeind. Als der Granz sich dann keine drei Wochen später auch verabschiedet hat von den Lebenden, war das dann natürlich völlig ausgeschlossen.«
Jetzt ist die Merz Monika hereingekommen und hat den Doktor gefragt, wie lange es noch dauern wird, weil draußen die anderen Patienten schon ungeduldig wären. Da hat der Doktor dann die Merz Monika vielleicht zusammengeschrien, mein lieber Herr Gesangsverein. Dafür war Kainz bekannt. Er war eine Koryphäe auf seinem Gebiet, aber auch ein Choleriker. Der kleinste Anlass und sofort war er auf hundert. Als ob die Merz Monika Zeiler ins Gitter gestoßen hätte. Unglaublich. Anschließend war er wieder völlig verändert und hat seelenruhig weitererzählt.
»Na ja, Herr Plotek, was ganz Genaues wusste ja niemand, aber da war anscheinend mal was mit der Großen, also der Froni vom Fremdenverkehrsdirektor. Auf die soll der Zeiler angeblich scharf gewesen sein. Und der Granz auch. Obwohl der doch mit der Kleinen, also der Jeanette, vom Fremdenverkehrsdirektor verheiratet gewesen war. Quasi Schwägerin also. Na ja, seitdem sind sich die beiden aus dem Weg gegangen. Das ging sogar so weit, dass der Zeiler nicht mehr zur Musikkapelle gekommen ist, weil der Granz auch da war. Erst bei den Passionsspielen haben beide das erste Mal wieder zusammen gespielt, sie haben also
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