Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Altoetting

Altoetting

Titel: Altoetting Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo Swobodnik
Vom Netzwerk:
abgesehen, dass das, was da zu sehen war, mit Schauspielerei nicht viel zu tun hatte. Das waren nicht nur Laien, das waren Dilettanten, völlig unbegabt. Sie hatten kein Gefühl für Rhythmus, für Sprache und Bewegung.
    Vor allem der Jesus stolperte herum, als ob er selbst nicht wüsste, was er hier sollte. Dass Mengele Sparkassendirektor war, hätte Plotek nicht zu wissen brauchen, er hätte es gesehen. Mengele hat die Worte wie Zahlen gesprochen, dazwischen lange Pausen, als wolle er sie im Kopf auch noch zusammenzählen. Die Verwandlung von Wein in Blut und von Brot in Leib klang wie eine Kontoeröffnung oder die Gewährung eines Dispo-Kredits. Es klang so emotionslos, sachlich, trocken und nüchtern wie Soll und Haben. Wie Verzinsung und Rendite klimperte der Sparkassendirektor den messianischen Text von der Bühne. Grauenhaft. Das war sicher der schlechteste Jesus in ganz Oberbayern. Ach was, in Bayern. In Deutschland. Überall da, wo der christliche Glaube geglaubt wurde. Nein, es gab keinen Schlechteren auf der ganzen Welt. In dieser Probenvideoqualität war alles noch viel grauenhafter. Beides zusammen ergänzte sich kongenial. Auch beim Videofilmen war ein Meister am Werk, dachte Plotek, einer der vom Filmen so viel Ahnung hatte wie Mengele vom Schauspielern. Oder Mutschler, weil der auch nicht viel besser war. Den hat Plotek jetzt auf dem Fernsehschirm in Großaufnahme als Judas gesehen. Doch, doch, das konnte man erkennen, zwar nicht gestochen scharf, aber das war eindeutig Mutschler. Obwohl eigentlich eine ganz andere Szene lief – Jesus heilt den Lahmen, zumindest vom Ton her – , stiefelte im Bild noch immer Mutschler als Judas herum. Und dann wurde es interessant. Noch immer war Mutschler zu sehen und mit ihm eine fremde Hand, ganz kurz, ganz klein, am unteren rechten Bildrand. Eine Hand schob sich ins Bild und steckte dem Judas etwas ins Gewand. Dann ein eigenartiger Blick von Mutschler nach hinten und ein Grinsen. Dann war wieder ein anderes Bild zu sehen. Jesus und der Lahme. Das war’s, eine kurze Szene und schon vorbei. Trotzdem war es auffällig, zumindest für Plotek. Die Hand, die Aktion und vor allem das Grinsen von Mutschler. Das spürte Plotek. Manchmal hatte er ein Gespür für Irrationales, dann wieder ein Gedächtnis, das die reinste Katastrophe war. Ploteks Gedächtnis ist ein Sack mit einem riesigen Loch. Eigentlich kaum noch ein Sack, vielmehr ein Loch. Texte sind kein Problem, stundenlange Monologe auch nicht, aber Namen zum Beispiel sind bei ihm ein einziges Waterloo. Plotek konnte sich nicht an Namen erinnern, noch nie. Sogar beim eigenen hatte er manchmal Schwierigkeiten. Das Schlimmste waren aber die Vornamen, die waren ihm kaum ein Begriff. Selbst der eigene war ihm schon immer suspekt. Wer will schon gern wie der Vater heißen? Nachname ist okay. Aber auch noch mit dem Vornamen? Plotek wollte nicht. Aber egal.
    Plotek konnte jetzt nicht genau sagen, was das war, was ihn da bei der Hand und dem Judas-Gegrinse so irritiert hatte. Aber seltsam, trotz der Konzentrationsschwierigkeiten wegen dem Tumor hätte er schwören könne, dass da was war.
    Ansonsten war das Video eher eine unfreiwillig humoristische Glanznummer. Zum Gebrauch und als Orientierung für Plotek eigentlich ungeeignet. Das war aber nicht so wichtig, weil Plotek bei der anschließenden ersten Probe nahtlos in die Jesusfigur einstieg. Auch wenn er den Ablauf im Video nicht gesehen hätte, wäre alles kein Problem gewesen. Ob er jetzt nun linksherum oder rechtsherum gehen musste, war im Prinzip egal. Die Auf- und Abgänge waren wichtig, ansonsten war alles ziemlich simpel konstruiert. Es blieb einzig noch der Text, der Schwierigkeit hätte bereiten können. Aber der war bei Plotek noch nie ein Problem gewesen. Mit einer Ausnahme: dem Hänger in Marburg.
    Als Plotek beim Videoschauen bei der Kreuzigung angekommen war, also nur noch die Auferstehung vor sich hatte, musste er bemerken, wie sich hinter seinem Rücken im dunklen Leseraum des Klosters, hinter dem großen Regal ganz in der Ecke, etwas bewegte. Irgendjemand beobachtete ihn. Zunächst dachte Plotek, Frau Gaby Mand schleicht auch da hinten herum und sicher gibt’s jetzt gleich Gummibärchen und Schokoplätzchen. Als die Gummibärchen und Schokoplätzchen aber ausblieben und das Gefühl der Beobachtung noch immer nicht weichen wollte, war Plotek klar, die Mand war das nicht. Plotek hat aber jetzt nicht, wie vielleicht zu erwarten gewesen wäre, den

Weitere Kostenlose Bücher