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Altoetting

Altoetting

Titel: Altoetting Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo Swobodnik
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stand. Plotek hatte also als Jesus bei der Verwandlung von Brot zum Leib, genau so, wie es geschrieben steht, den Tabernakel aufgemacht.
    »Nehmet und esset, das ist mein Leib.«
    Aber denkste, ist da nicht nur Brot dringelegen, also nicht nur Oblaten.
    »Trinket alle daraus, das ist mein Blut.«
    Und auch nicht nur Wein hat aus dem Tabernakel geschaut, also Badischer Riesling, nein, sondern es lag auch ein Zettel dazwischen. Im Tabernakel, zwischen Wein und Brot, zwischen Leib und Blut war Kariertes mit Krakelschrift zu sehen. Quasi Altbekanntes. Das war kein Grund zur Beunruhigung, theoretisch. Praktisch konnte sich Plotek aber nicht mehr auf die Verwandlung konzentrieren. Prompt ist es nicht zu einer Verwandlung, sondern zu einer Verwechslung gekommen. Also, Brot zu Wein und Blut zu Leib. Das Brot in der Hand, den Blick auf den Zettel, hat Plotek gesagt:
    »Das ist mein Blut, welches vergossen wird für viele zur Vergebung der Sünden.«
    Natürlich war das Schwachsinn, aber Plotek war mit seinen Gedanken ganz woanders. Und mit den Augen auch.

    18 uhr. beichtstuhl, st. magd., 1. links

    stand gekrakelt auf dem Zettel. Die Verwirrung war aber nicht nur bei Plotek. Auch die Jünger, die Maria Magdalena, der Spielleiter Niederbühler, die Souffleuse Annemarie und Pater Manuel waren erstaunt über die plötzliche Irritation von Plotek. Auch Frau Gaby Mand setzte jetzt einen Blick auf, als wollte sie sagen, irgendetwas stimmt hier doch nicht. Nur die Jungfrau Maria hat noch immer ein Gesicht gehabt wie bei Mariä Himmelfahrt.
    Plotek, mit dem Riesling im Kelch: »Nehmet und esset, das ist mein Leib.«
    Ein Geschmunzel von allen war die Folge. Außer von der Jungfrau Maria, die leuchtete Plotek noch immer so an, dass der jetzt fast schon wie hypnotisiert war. Also hat sich Plotek dem Blick der Jungfrau Maria einfach entzogen, nach der Devise, weitermachen, weiterspielen, sich selbst herausziehen aus dem Schlamassel. Maria vergessen, Plotek vergessen und wieder Jesus werden. Aber lange noch, bis zur Kreuzigung, war Plotek immer wieder gedanklich beim Zettel. Dadurch avancierte Annemarie plötzlich von der Souffleuse zum Protagonisten. Sie war Jesus’ Schatten, also Ploteks Gedächtnis.
    Ab der Kreuzigung war Plotek dann wieder ganz in der Figur. Also von da an weniger Plotek und mehr Jesus. Oder: Ab jetzt war Plotek ganz der Jesus. Nur kurz vor dem Lanzenstoß gab es wieder eine zeitweilige Irritation. Da ist dann beim Jesus erneut kurzzeitig der Plotek durchgeschimmert. Plotek hing am Kreuz, mit der Dornenkrone auf dem Haupt, blutenden Handflächen und nur mit einem Lendenschurz bekleidet. Der Kopf ruhte auf der Brust mit Blick nach unten. Alle anderen standen am Kreuzsockel und haben hinaufgeschaut. Die römischen Soldaten, die Jünger, Maria Magdalena, die Lahmen, die Blinden und das ganze Volk. Die Gesichter sind in den Augen von Plotek zu einer dunklen Fläche verschmolzen, zu einer regungslosen Masse. Nur eine ist auf- und herausgefallen am Kalvarienberg, nämlich die Jungfrau Maria. Die Zeller Froni ist am Kreuz gekniet und hat Jesus mit tränenüberschwemmten Augen leuchtende Signale von unten nach oben zugefunkt. Geschluchzt und geweint hat sie, dass sich Ploteks Jesus am Kreuz eine Gänsehaut zwischen die Dornenkrone und die angenagelten Fußsohlen schmuggelte. Bewundernd hat Plotek Froni beim Weinen zugeschaut und gewusst, das gehört zum Schwierigsten überhaupt bei der Schauspielerei. Viel hatte Plotek auf der Bühne schon gesehen, aber eine solche von Tränen aufgelöste Schauspielerin war ihm bisher noch nicht untergekommen. Vor so viel Hochachtung hat Plotek jetzt tatsächlich seinen Einsatz kurzzeitig verpasst. Also, die Lanze steckte schon in Jesus’ Leib, da hat Plotek erst »Vater, warum hast du mich verlassen!« auf den Bruder-Konrad-Platz hinuntergebrüllt. Dafür aber umso eindrucksvoller. Jetzt gab es bei allen eine Gänsehaut, und die Nackenhärchen sind gestanden wie römische Soldaten. Plotek hat die Augen geschlossen, den Kopf ganz hängen lassen und ist als Jesus gestorben. Als toter Jesus hatte er dann bis zur Kreuzabnahme genügend Zeit, über den Zettel im Tabernakel und die Judas-Probleme nachzudenken. Natürlich rang er mit sich. Zwei Seelen ach – im Prinzip hatte er keine Lust, sich mit den Altöttinger Problemen auseinanderzusetzen, einerseits. Weil, wer belastet sich gern mit anderen? Plotek nicht. Den Problemen ist Plotek in der Regel immer aus dem Weg gegangen. Nicht nur den

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