Altoetting
hat das mit diesem Grab und Annegret Topf zu tun? Und was mit den Altöttinger Passionsspielen? Und vor allem, was hat das alles mit ihm zu tun? Plotek? Eine Fragenkette war jetzt wie Girlanden zwischen Ploteks Synapsen gespannt. Irgendjemand hatte ein Interesse daran, dass Plotek hinter allerhand Verborgenes blickt. Irgendjemand kannte die Zusammenhänge und wollte sie Plotek offenbar näherbringen.
Annegret Topf! Zunächst musste Plotek natürlich herausfinden, was es mit dieser Topf auf sich hatte. Also ist er zunächst zurück zum Hotel. Sicher war die Wirtin, wenn nicht noch immer zur Salzsäule erstarrt, auskunftsbereit. Bloß nicht fragen, sondern Antworten herauslocken. Also, in ein zwangloses Gespräch verwickeln.
Als Plotek den Friedhof gerade wieder verlassen hatte und an der Bruder-Konrad-Kirche vorbeiwollte, hörte er Orgeltöne. Das war Bach, ganz feierlich. Sicher wurde hier eine Hochzeit zelebriert. Das war wieder mal ein Schwachpunkt von Plotek. Natürlich war das auch kindheitsbedingt. Plotek hatte schon immer ein Faible für Kitsch und vor allem für feierliche Zeremonien wie zum Beispiel Staatsbesuche, Fürstenhochzeiten, auch Beerdigungen und alles. Tagelang ist er vor dem Bildschirm gehangen. Das war für ihn eine Art der Entspannung. Einfach zuschauen und den ganzen Pomp an sich vorbeiziehen lassen, im Bewusstsein, alles endet am Brückenpfeiler, bildlich jetzt. Und im Fall von der Prinzessin der Herzen ganz real. So wie sich Menschen Liebesfilme anschauen und dabei herzhaft weinen, zog sich Plotek Königsfeiern und Trauungen rein. Lange ist es schon her – Prinz Charles und Lady Diana. Oder danach der Prinz von Windsor. Quasi exemplarisch jetzt. Wo vorher vermeintliches Glück war, ist am Ende nur ein Abgrund, ein Scherbenhaufen, ein Döschen voll Asche. Und Genugtuung, zumindest bei Plotek, quasi letztendliche Gerechtigkeit. Jeder Körper gast, verfault, zerfällt, ob jetzt im Armani- oder im Konfirmationsanzug vom älteren Bruder. Ganz egal. Was bleibt, ist nichts. Und das ist bei allen gleich. Zwischen zwei und 2,5 Kilo Dreck. Vielleicht deshalb der Hang von Plotek zum inszenierten Kitsch, quasi Anschauung, Bestätigung und alles.
Plotek warf einen kurzen Blick in den Kongregationssaal der Bruder-Konrad-Kirche und tatsächlich: Es war eine Trauung im Gange. Sofort ist ihm der Gedanke an die eigene Dummheit gekommen, der Griff ins Klo. Damals hatte er die Verlobung vollzogen, das Aufgebot bestellt, und dann war doch noch der Kelch an ihm vorübergegangen. Im Nachhinein war das ein Glücksfall. Damals war er voll mit Mordgelüsten. Die Frau ist einfach auf und davon mit seinem besten Freund. Danach war der nicht mehr der beste Freund, jetzt theoretisch wieder. Aber praktisch unmöglich, weil er tot war. Er hat die Ehe nicht überstanden. Es war ein entsetzliches Beziehungsdrama, keine zwei Jahre später. Die Folge: Sie war verletzt und für ein Jahrzehnt hinter Gittern, er war tot. So ähnlich wie bei Bubi Scholz, nur verdrehte Rollen. Aber egal.
Jetzt also Trauung in der Bruder-Konrad-Kirche. Plotek richtete den Blick auf Pater Martin, weil der gerade am Altar stand und in Aktion war.
»Willst du . . .?«, hat Plotek jetzt gehört.
Und dann hörte er nichts mehr, weil es viel zu leise war, deshalb hat er in Gedanken mitgesprochen:
»Ja!« und »Ja!«
Und Kuss.
Schrecklich, dachte Plotek noch und verließ von Orgelklängen begleitet wieder die Kirche.
Von der Bruder-Konrad-Kirche und der Trauung ist Plotek dann über den Kapellplatz und an der Gnaden-Kapelle vorbei. Zum ersten Mal seit drei Tagen nahm Plotek jetzt dieses seltsame gotische Gebäude bewusst wahr. Oder weniger das Gebäude, also die Kapelle, als vielmehr den Rundgang drum herum. Und da die Votivtafeln, die Zeugnisse, dass die heilige Maria geholfen hat. Oder auch nicht geholfen hat, dann die Bitten, dass sie hilft. Die Tafeln waren also eine unmittelbare Äußerung eines Wallfahrtsvertrauens und ein Bekenntnis zur Muttergottes. Wenn auch ziemlich dilettantisch. Der Glaube war groß, die Kunst dagegen ziemlich mickrig. Tausende von Bildern mit unterschiedlichen Motiven waren nebeneinandergehängt, eine Skala menschlicher Nöte: Vom Sturz mit dem Fahrrad bis zum Unfall mit dem Auto, Trecker oder der Eisenbahn. Vom Hundebiss bis zur Seuche und zur Pest. Es gab nichts, was nicht an der Wand hing. Der Glaube war bei Plotek jetzt ungefähr so stark ausgeprägt wie die Zuneigung zu seiner Familie. Beide gingen gegen null. In
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