Altoetting
Tag, mehrere Morgen. Bis zum Beichtstuhltreffen waren es noch zwei Stunden. Also hat er sich ins Bett gelegt und die Decke über den Kopf gezogen.
Natürlich war das alles nur Theorie, weil auch im Bett ist außerhalb des Bettes. Also hat er seine Konzentration auf den Atem gelenkt. Gleichmäßig atmen: aus, ein, aus, ein – und tatsächlich – aus, ein – Plotek war fast eingeschlafen – aus – dann plötzlich durch ein Geräusch wieder wach. Plotek hat noch gedacht, ist’s ein Traum oder schon wieder Wirklichkeit? Aber das Knarren war eindeutig, so knarrte nur eine Tür. Nicht die im Kopf, nein, die im Zimmer. Plotek war wie gelähmt. Natürlich hätte er aufspringen und ein großes Tamtam veranstalten können. Aber Plotek ist nicht der Typ dafür. Er ist eher ruhig und zurückhaltend. Also nichts mit Tamtam, sondern Luft anhalten und nicht bewegen. Es war natürlich nichts zu sehen, wegen der Decke überm Kopf. Schritte waren zu hören, schnell und fast ohne Bodenberührung. Schwebend. Sie traten erst gar nicht ganz ins Zimmer herein, sondern bogen im schmalen Zimmerflur gleich ins Bad ab. Zehn Sekunden lang war nichts zu hören, dann die Klospülung. Komisch, hat Plotek noch gedacht, da benützt jemand meine Toilette, und schon drangen wieder Schritte an sein Ohr unter der Decke, und wieder ein Knarren, also Tür und draußen. Plotek sprang jetzt nicht, wie vielleicht erwartet, schnell auf und ins Bad, um nachzuschauen. Nein, wieder typisch Plotek. Noch mindestens eine Minute ist er mit der Decke über dem Kopf im Bett gelegen und dann erst langsam, in aller Ruhe, aufgestanden. Er hat sich angezogen und ist dann ins Bad. Und da war Plotek sofort klar, hier war kein Geschäft verrichtet worden, zumindest keines, das der Örtlichkeit angemessen gewesen wäre. Nein, das war keine Intuition, das war ein ausgeprägter Geruchssinn. Die Nase quasi ein Detektor. Hier war nichts zu riechen, was von menschlichen Lebewesen hätte ausgeschieden werden können. Doch, doch, es gab schon einen Geruch, aber einen künstlichen, ein Parfüm, ein Eau de Toilette. Irgendwo hatte Plotek den Geruch schon einmal gerochen. Aber wo war fraglich. Also, wenn nicht das Klo als Klo benutzt worden war, als was dann? Hinterm Duschvorhang war nichts, der Mülleimer war leer. Er machte den Deckel vom Spülkasten auf, warf einen Blick durchs Wasser und: Überraschung! Böse Überraschung. Im Spülkasten ins Wasser getaucht lag eine Plastiktüte. In der Plastiktüte war ein Holzfällerhemd, braunblau kariert. Plotek war wie hypnotisiert. Ein, zwei Minuten stand er wie festgewurzelt da, dann ging alles ganz schnell. Das war wieder typisch Plotek, zuerst ganz lange Unverständnis, dann ein langsames Verstehen, und wenn er verstanden hatte, ging’s ruck, zuck. Dann hieß es, nicht mehr lange überlegen – handeln! Also, die Plastiktüte mit Hemd raus aus dem Spülkasten und rein in die Manteltasche. Dann raus aus dem Zimmer und an der Wirtin vorbei, die noch immer eine Salzsäule war, die Marienstraße entlang, am Kreuz vorbei über den Kapellplatz, in die Kapuzinergasse zum Bruder-Konrad-Platz. Da musste Plotek erst mal durchschnaufen. Und wieder sind ihm die Gedanken wie Peitschenhiebe durch den Kopf gezischt. Warum nicht einfach zur Polizei gehen, hat sich Plotek jetzt gefragt. Warum das Hemd nicht der Mühldorfer Kriminalpolizei auf den Tresen knallen? Lange musste Plotek nicht nachdenken, dann war ihm der Grund auch schon klar. Bei der derzeitigen Verfassung der Mühldorfer Kriminalen sollte man möglichst jeden Kontakt mit den Ordnungshütern vermeiden. So hysterisch wie die ermittelten, so dermaßen durch den Wind, wie die Kriminalpolizei derzeit war, konnte Plotek nicht ausschließen, dass er sich mit einem Hemd, das höchstwahrscheinlich dem Mutschler gehört hatte, sofort in die Schlange der Verdächtigen eingereiht hätte. Obwohl das natürlich Quatsch war. Aber die Kriminalpolizei war nicht mehr zugänglich für Logik, deshalb unberechenbar, einerseits. Andererseits hatte Plotek noch nie gerne etwas mit der Polizei zu tun gehabt. Also, nach Möglichkeit den Kontakt auch jetzt vermeiden.
Was die Plastiktüte mit dem Hemd im Spülkasten wohl für eine Absicht verfolgte, rätselte Plotek. Es gab doch bessere Verstecke als Spülkästen, dachte er und nickte wie zur Bestätigung, und dann ahnte er, dass vielleicht genau deswegen der Spülkasten dafür ausgesucht worden war. Soll heißen: So mies wie das Versteck war, musste das Hemd
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