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Altoetting

Altoetting

Titel: Altoetting Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo Swobodnik
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gleich gefunden werden. Also mit Absicht versteckt, mit Vorsatz. Heimtückisch. Aber wer? Wer tut so was?, hat sich Plotek gefragt. Wer hatte die Plastiktüte mit dem Hemd da hineingelegt? Jetzt kamen Plotek wieder die Zettel in den Sinn, die Anrufer, die Resopalwand im Klo. Dann Mutschler im Beton, die Verhaftung von Zeller – alles zusammen ist über ihn hergefallen wie die Übelkeit nach der Medizin von Frau Winkelmann. Es war im Kopf ein Drunter und Drüber. Und dennoch, lange musste er nicht nachdenken, ganz geschwind ist er draufgekommen. Ja, vielleicht war es derselbe wie »VERSCHWINDE«, ist es ihm durch den Kopf gegangen. Die Plastiktüte mit dem Hemd gleich »Punkt, Punkt, Punkt«? Wenn ja, dann war das also keine Drohung mehr, sondern bereits Tat. Und das Opfer er, Plotek. Aber wer macht sich schon gerne zum Opfer? Plotek nicht. Also, spätestens ab jetzt konnte sich Plotek den Altöttinger Problemen nicht mehr entziehen. Ab jetzt waren die Altöttinger Probleme auch die seinigen. Jetzt waren der Mord an Mutschler, die Toten Granz und Zeiler und der Banküberfall auf Mengele nicht nur ein Mord, zwei Tote und ein Banküberfall, nein, jetzt war auch Plotek involviert, ob er wollte oder nicht. Natürlich wollte er nicht. Aber er hatte keine andere Wahl. Das Hemd musste als Zeichen verstanden werden, ein Zeichen, dass ihn jemand ans Messer liefern wollte. Also blieb ihm nichts anderes mehr übrig, als seine Passivität aufzugeben und sich nicht zum Spielball machen zu lassen. Er musste angreifen, nicht in Fallen tappen, sondern Fallen stellen. Zunächst musste er aber das Hemd beseitigen.
    Als die Glocke der Basilika gerade sechsmal schlug, ließ Plotek das Hemd mitsamt der Plastiktüte an der Klostermauer hinter einer Buchsbaumhecke verschwinden.

    Anschließend ist Plotek auf direktem Wege von der Basilika zur Sankt-Magdalena-Kirche gegangen. Und die war beeindruckend, eine Jesuitenkirche aus dem 17. Jahrhundert mit schwerem Stuck, schöner Kanzel und drei Altären. Im Prinzip interessierte sich Plotek ja nicht für Kirchen, nicht für Barock, Gotik, Romanik, Arkaden, spitze Dachreiter, deutsche Kunstgeschichte und alles. Plotek hatte eher volksnahe Hobbys. Fußball zum Beispiel. Aber die Kirche hier war wirklich Extraklasse. Von außen sah sie eher unscheinbar aus. Von innen überwältigend. Vor allem die Atmosphäre war sehr beeindruckend. Es war eine andere Welt. Draußen schien die Sonne, war es heiß und hektisch. Drinnen war alles ruhig, kühl und in gedämpftem Licht. Plotek war ganz allein. Er kam sich in der großen Kirche wie verloren vor, wenig, winzig, wie ein Nichtviel in der Weite des Langhausgewölbes. Ein Nichts im Universum. Plotek war empfänglich dafür und hatte eine Affinität für gewaltige Stimmungen und extreme Atmosphären. Sein subjektives kleines Empfinden wurde sofort zu einem objektiven Ist-Zustand. Quasi, aus einer Stubenfliege wird ein Elefant. Alles Transformation. Alles Transzendenz. Ein Schmetterlingsflügelschlag hat immer ein gewaltiges Beben zur Folge. Typisch Plotek. Dem konnte er sich kaum entziehen, dem wollte er sich gar nicht entziehen. Im Gegenteil, er genoss es.
    Dann hörte er einen Glockenschlag. Folglich war er fünfzehn Minuten lang dagestanden, in der Sankt-Magdalena- Kirche. Noch immer war er allein, noch immer war kein Mensch zu sehen.

    18 uhr. beichtstuhl. st. magd. 1. links.

    Plotek machte die Tür vom Beichtstuhl auf. Der war leer, dunkel und roch nach einem modrigen Geruch, nach verschwitzten Messgewändern, nach Holzwurm, Weihrauch und Rasierwasser. Ja, Tabac Original hat er sofort gerochen, weil mit dem Geruch eine Erinnerung im Gedächtnis abgespeichert war. Obgleich das Gedächtnis von Plotek durchlässig wie ein Sieb ist, für Namen und alles. Bei Gerüchen war das anders. Obwohl, na ja, man kann sich an Gerüche ja nicht erinnern. Erst wenn man sie riecht, lösen sie Erinnerungen aus. Jetzt an Lauterbach, an die Grundschule, an den Mathematiklehrer von Plotek, der war eine wandelnde Rasierwasserflasche. Der Mathematiklehrer hatte so einen dermaßen starken Bartwuchs gehabt, dass er sich zweimal täglich rasieren musste. Hernach immer Rasierwasser, immer Tabac Original . Als Plotek schon in der 5. Klasse war, also nicht mehr Grundschule, hat der Mathematiklehrer sich erhängt. Wegen einem Verhältnis zu einer halb so alten Schülerin. Nein, nicht aus der Grundschule, sondern vom Gymnasium. Aber genauso schlimm. Da wird das Dorf zur Hölle. Das

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