Altoetting
Brust.
»Tschuldigung!«
»Macht nichts!«
Aus der Garderobe hat die Zeller Froni ihr nachgeschrien: »Tja, so kann’s gehen!«
Die Probe stand dann unter großer Erwartung Plotek gegenüber. Dieses Mal spielte er fast ohne Textbuch. Nur Arno war noch immer wie völlig durch den Wind. Er ist auf der Bühne herumgelaufen, geduckt, eingeschüchtert, als wäre die Bühne ein Schützengraben, das Abendmahl ein Bombenfeld. Eigentlich passte das ja zur Figur des Judas. Aber, wenn Jesus sagt: »Es wäre ihm besser, dass derselbe Mensch nie geboren wäre«, und Judas daraufhin fragen soll: »Bin ich’s, Rabbi?«, und Arno den Mund nicht aufbringt, dann ist die Einschüchterung mehr als Einschüchterung, nämlich ein erstklassiger Hänger. Und wenn dann die Souffleuse Annemarie aus dem Soufflierkasten »Bin ich’s, Rabbi?« schreit, ist das schon wieder lustig. Und das ist peinlich, weil die Leidensgeschichte als humoristischer Brüller nicht im Sinne des Erfinders ist. Mit dem Lachen haben alle Evangelisten so ihr Problem gehabt. Neutestamentarisch. Aber auch im alten Testament war der Humor eher Mangelware. Quasi nicht vorhanden. In der ganzen Bibel lacht Jesus nicht ein einziges Mal. Also gab es da offenbar ein kritisches oder gar kein Verhältnis zum Humor. Deshalb war jetzt schon ein Schmunzeln undenkbar.
Bei der Verwandlung kam dann Spannung auf. Nicht nur bei Plotek. Alle haben sich gefragt, wird der Wein dieses Mal zu Blut verwandelt oder gibt es wieder eine Verwechslung. Plotek hat natürlich ganz was anderes beschäftigt, nämlich der Tabernakel. Logisch. Also, er macht ihn auf, schaut hinein und: Enttäuschung. Nichts war drin, zumindest nichts über den Wein und das Brot hinaus. Kein Zettel, keine Information, kein Geheimnis. Vielleicht war Pater Manuel doch das falsche Pferd? Plotek schaute über den Altar hinweg, an den Laienspielern vorbei über die Rampe.
Die Maria Magdalena sah er mit Müdigkeit kämpfen und mit aufgerissenem Mund, also kräftiges Gähnen. Der Judas war noch immer auf der Suche nach einem sicheren Plätzchen. Von den Lahmen ging, trotz Heilung, null Bewegung aus. Die Blinden waren ebenfalls hundemüde und haben, trotz dem vom Gottessohn verordneten Durchblick, kaum was gesehen, weil die Augen nur Schlitze waren. Einzig die Jungfrau Maria ist mit glasigem Blick und voll in der Rolle wieder an den Lippen von Plotek gehangen.
Im Zuschauerraum lag Niederbühler eingeschlafen im Regiesessel, daneben saß Manuel, aufrecht, wie mit einem Stock im Rücken, im Textbuch vergraben. Neben ihm Frau Gaby Mand, kaum mehr wegzudenken und für Kaffee, Schokoplätzchen und Geknabber zuständig. Darin sah sie ihre Erfüllung. Sie war eine ehemalige Krankenschwester, jetzt auch schon pensioniert. Die Hilfsbereitschaft war ihr angeboren. Sie besaß ein tief aus dem Innern kommendes Sozialverhalten. Psychologie jetzt wieder. Ihre neue Lebensaufgabe war Kaffee kochen und die Altöttinger Passionsspiele. Außerdem hatte sie Interesse am Spielleiter Niederbühler. Obwohl der, seit seine Frau tot war, nur noch mit ganz Jungen geturtelt hat. Und auffälligerweise nicht nur mit Frauen. Also nicht nur mit der Maria Magdalena, der Jungfrau Maria und der Souffleuse Annemarie. Nein, sondern auch mit Pater Manuel, Arno und den zwölf Jüngern. Nur mit Plotek flirtete er nicht. Denn ein Flirt war das allemal, wie Niederbühler die Jugend umgarnt hat, mit Zwinkern, manchmal auch Tätscheln und allem. Aber es war im Prinzip nichts Ernstes, weil doch meistens mehrere Generationen Altersunterschied dazwischenlagen. Außerdem ist Niederbühler ohnehin von allen nicht ganz ernst genommen worden. Das war Gaby Mand aber egal. Sie war trotzdem eifersüchtig. Und deshalb ist sie auch nicht von Niederbühlers Seite gewichen. Dezent, fast unauffällig war sie ständig in seiner Nähe. Böse Zungen haben sogar behauptet, Gaby Mand hätte die Altöttinger Passionsspiele nur mit initiiert, damit Niederbühler wieder seine geliebte Theatergruppe um sich hatte – quasi als Liebesbeweis. Aber das hätte Gaby Mand natürlich nie zugegeben. Ihr ging es, wie allen anderen selbstverständlich auch, nur um Altötting.
Kurz vor der Kreuzigung bekam Plotek die Dornenkrone und das Kreuz verpasst – dann ging die Post ab Richtung Golgatha. Jesus, also Plotek, ist mit dem Kreuz, wie’s geschrieben steht, mehrmals gefallen. Am Wegrand stand die Jungfrau Maria wieder völlig aufgelöst in Tränen. Die Zeller Froni hat erneut so
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