Altoetting
Tabernakel, müssen Sie wissen, birgt natürlich nicht nur den Leib und das Blut Christi, nein, nein, ein Tabernakel ist wie ein kleiner Zauberkasten. Es kommen Dinge zum Vorschein, von denen niemand weiß, wie sie da überhaupt hineingeraten konnten. Ein richtiges Wunderding. Das Altöttinger Orakel quasi. Mal schauen, was es heute Interessantes liefert. Also, was mich besonders interessieren würde, Ihnen darf ich’s ja sagen, Pater Manuel, Sie sagen es auch niemandem weiter, oder?«
Noch immer typischer Plotek-Blick von Manuel. Also wie ein Schwamm, vollkommen leer und ausgedrückt. Und jetzt, als ob ein Rauhaardackel den Fuß gehoben und Urinspuren im mehligen Pater-Gesicht hinterlassen hätte. Dann verhaltenes Nicken von Manuel.
»Gut, also was mich brennend interessiert, ist, wie eigentlich Mutschler, Granz und Zeiler miteinander verbandelt waren, wie man so auf Bayerisch sagt. Also, was die drei miteinander zu tun hatten. Ja, quasi den Deckel vom Topf heben und schauen, was drunter ist. Weil, dass die drei irgendein Geheimnis verbindet, das liegt eigentlich auf der Hand, oder sagt man hier im Topf? Weil an Zufälle, das wissen Sie ja besser als ich, Pater Manuel, an die glauben wir beide doch nicht.«
Keine Reaktion von Manuel. Noch immer hat der ein Gesicht gemacht wie eine am Berg festgezurrte Lawine. Keine Regung, kein Zucken, kein Nichts. Na ja, eine leichte Irritation kam jetzt bei Plotek schon auf. Vielleicht war das doch das falsche Pferd. Vielleicht hatte er sich doch verspekuliert. Zumindest sah Manuel so aus, als ob er nichts verstehen würde. Vielleicht war das aber auch nur die Masche vom Pater. Und wenn schon, auch egal. Einen Versuch war es wert. Also hat Plotek noch eine Schippe draufgelegt.
»Na ja, wenn nämlich der Tabernakel nichts mehr zu sagen hat, also womöglich nur noch schweigt, tja, das fände ich dann sehr bedauerlich. Also, Ihnen kann ich es ja verraten, Pater Manuel, ja, das ist eigentlich das Einzige, was mich an den Proben und den Altöttinger Passionsspielen wirklich interessiert. Der Tabernakel und seine Geheimnisse. Wenn die jetzt wegfallen sollten, oh, oh . . . Ich glaube, dann reise ich vorzeitig ab, heute vielleicht noch. Weil diese ganzen Unannehmlichkeiten hier gehen mir langsam auf die Nerven. Sicher haben Sie es auch schon erfahren, das mit der Durchsuchung und dem Verdacht?«
Natürlich wusste Manuel das, wie übrigens alle Laienspieler auch. Wenn Pater Manuel also irgendetwas mit der Krakelschrift zu tun gehabt hätte, dann wäre sicher eine Reaktion auf Ploteks Drohung erfolgt. Dann musste er auf Ploteks Drohung reagieren. Manuel hätte es sich nicht leisten können, die Altöttinger Passionsspiele scheitern zu lassen. Das wäre einer persönlichen Kapitulation gleichgekommen. Das hätte ihm der Guardian Martin nicht verziehen. Manuel war der Lieblingszögling von Pater Martin und damit beauftragt, für das Gelingen der Passionsspiele zu sorgen. Er wurde für die Probenzeit von allen klösterlichen Pflichten befreit. Er sollte sich nur auf die Passionsspiele konzentrieren und hatte keine anderen Aufgaben, als Niederbühler beim Inszenieren zur Hand zu gehen. Im Prinzip war Manuel ja der heimliche Spielleiter. Niederbühler hatte zwar mehr Erfahrung und alles, bis zur Pensionierung war er 30 Jahre lang Leiter der Schultheatergruppe der Volksschule gewesen, aber geistig war er manchmal ziemlich labil. Seit dem Tod seiner Frau war er hin und wieder depressiv. Dafür umso jährzorniger und sturschädeliger. Die Altöttinger Passionsspiele waren ohne Niederbühler undenkbar. Er hat auch die Rollen alle eigenmächtig besetzt, ohne Wenn und Aber und in alleiniger Verantwortung. Da wurde nicht diskutiert, nein, bestimmt.
»Der Mutschler spielt den Judas!«, hatte Niederbühler gesagt, und Mutschler hatte den Judas gespielt. Obwohl er keine Lust gehabt hatte und es auch viel zu gefährlich war. Niederbühler kannte auch alle. Es waren alles Ehemalige. Die meisten waren irgendwann einmal in der Schultheatergruppe gewesen. Durch Niederbühlers selbstherrliche Allmacht ist ein so unbegabter Dilettant wie Mengele überhaupt erst in die Lage versetzt worden, den Jesus zu spielen. Sicher war der günstige Kredit der Kreissparkasse für Niederbühler auch ein Grund. Nicht nur die Judasse, auch alle anderen Jünger sind allein von Niederbühler besetzt worden. Und wehe, einer wollte nicht, dann ist Niederbühler zum Herodes geworden. Die Zeller Froni, Niederbühlers
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