Altoetting
Plotek bei den männlichen Darstellern völlig aus der Reihe fiel, im positiven Sinne, hat sich auch die Zeller Froni als Jungfrau Maria bei den weiblichen Darstellern eindeutig hervorgehoben. Auch positiv jetzt. Damit war vielleicht das angespannte, private Verhältnis zu erklären. Das war für Plotek nichts Neues und am Theater üblich. Die Protagonisten sind meistens die größten Konkurrenten und sich auch privat nicht grün.
Die Zeller Froni hat Plotek jedenfalls kaum gegrüßt und ihm nur einen verhuschten Blick zugeworfen. Auch Plotek schaute kaum hin und bewegte die Lippen fast nicht. Weil so, wie man in den Wald hineinschreit. . . »Hallo!«, hat es Plotek heraushallen hören. Aber nicht von der Zeller Froni kam das, sondern von Frau Gaby Mand. Die ist vor dem Wienerwald Plotek grüßend genau vor die Füße gesprungen. Plotek hat zurückgegrüßt und geschaut, dass er so schnell wie möglich weg und weiterkommt, weil ihm der Geruch von Frau Gaby Mand am Morgen ohne Frühstück unerträglich war.
Arno war nur noch ein Häufchen Elend, so wie Plotek vor Tagen im Froh und Munter . Jetzt saß Arno wie ein ausgespuckter Speichelbatzen am Tresen, mit dunklen Rändern unter den Augen, zerzausten Haaren, die Krawatte mit dem Knoten am Bauch, das Hemd aus der Hose und ein Blick wie Judas. Einfach eins zu eins auf die Bühne bringen – und perfekt. Aber das hier war nicht die Bühne vor der Basilika, auch nicht die Altöttinger Passionsspiele, sondern der Gastraum vom Stiegler Keller und Arnos ganz private Leidensshow. Und Plotek war nicht Jesus, also waren keine Wunder zu erwarten. Dafür herrschte eine Stimmung wie bei der Kreuzigung, quasi doppelter Weltuntergang. Es war dunkel, schwarz und die Luft zum schneiden. Natürlich hat Plotek sofort gemerkt, was Sache ist. Also, Arno war am Ende. Nicht einmal mehr die Handys sind auf dem Tresen gelegen. Scheinbar waren auch die jetzt unwichtig, obwohl das ein Irrtum ist. Das Handy war der eigentliche Hort allen Übels. Aber später mehr davon. Das Wichtigste für Plotek war, bloß nicht der Mitleidsschiene zu verfallen, also mit Trost, Verständnis, Zuspruch und allem. Bei Typen wie Arno entspricht das exakt der Erwartungshaltung, deswegen wäre das völlig falsch. Vielmehr ist bei dieser Art von Spezies Provokation angesagt, also das Leid ignorieren und gleich Tabula rasa machen. Nicht lange um den heißen Brei quasseln, sondern die Karten offen, mit Donnerschlag auf den Tisch knallen. Drohung statt Mitgefühl. Nicht auf Antworten warten, fragen. Direkt, forsch und ohne eine Chance auszuweichen. Das war jetzt der andere Plotek. So konnte er auch sein, wenn er wollte. Meistens wollte er nicht. Als Aktiver damals beim Fußball war er noch häufiger so gewesen. Da hatte Plotek immer den Zweikampf gesucht. Mann gegen Mann, mit Fouls, Tricks und allem. Da war nichts mit umständlichem Antäuschen, sondern gleich mittendurch. Damals ist er der direkten Konfrontation nie aus dem Weg gegangen. Nur im Zwischenmenschlichen war das alles eine Katastrophe. Da war er unfähig bei jeder Art von Konflikt und immer auf der Suche nach Harmonie und Ausweg. Besonders in Bezug auf die Frauen. Das war ein leidiges Plotek-Thema. Da hat er ständig einen Kompromiss gesucht, Verständnis signalisiert und klein beigegeben. Natürlich sind die vom anderen Geschlecht regelmäßig weggelaufen. Wer will schon mit einem Waschlappen ins Bett? Oder gar eine Beziehung haben? Bitte melden, hat Plotek dann irgendwann nach seinem letzten Versuch eine Annonce aufgegeben. Mehr aus Scherz. Und tatsächlich haben sich welche gemeldet, sogar mit Bild. Aber frag nicht. Wer will schon mit einer Kloschüssel? Oder einem Eisschrank? Selbst Plotek nicht.
Plotek hat also in Bezug auf Arno seinen anderen Persönlichkeitsteil aktiviert. Der Teil, der ihm selbst mittlerweile ganz fremd war. Wie eine Rolle auf dem Theater war das jetzt für ihn, also mehr eine Figur als authentisch. Aber trotzdem überzeugend, zumindest für Arno. Für Sekunden hat der sein eigenes Leid vergessen, hat Plotek zugehört und geantwortet. Wie bei Sat 1 Jeder gegen jeden. Als wäre nicht er am Ende und fertig mit der Welt, sondern Plotek. Arno war plötzlich ganz bei Plotek und gar nicht mehr bei sich.
»Was wollte die Frau Zeller von dir?«, hat Plotek Arno entgegengeschleudert.
Ein Blick wie die Speerspitze von Pilatus.
Arno hatte jetzt keinen gekrümmten Rücken mehr, sondern war so aufrecht wie ein Bleistift.
»Wann?«
Auch die
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