Altraterra. Band 1: Die Prophezeiung (German Edition)
„Tja, und wie du siehst, wäre es besser für uns gewesen, wir hätten tatsächlich einen Versuch gemacht, ihn zu befreien.“
Miraj machte seit Aracios Auftauchen ein unglaublich trauriges Gesicht. Anne hätte ihn gern aufgemuntert, aber was gab es zu sagen? Henri hatte sie beide verraten und Miraj litt noch mehr darunter als Anne. Doch noch war sie nicht bereit, über ihren Bruder zu reden. Schnell erzählte sie daher weiter, von ihrem Besuch bei der weisen Samira. Sie geriet ein wenig ins Stocken, als sie ihm erklären musste, warum sie nichts gesagt hatte, als er mit der Order des Hohen Rates gekommen war. Schließlich sagte sie: „Siehst du, die weise Samira berichtete mir, dass die Dinge sich mit der Zeit fügen würden, ich solle bloß geduldig sein. Vermutlich hat sie gewusst, dass das geschehen würde. Und ich wusste es auch.“ Anne biss sich auf die Lippe. Das mit dem Traum von ihrer Hochzeit hatte sie ihm nicht erzählen wollen, aber nun war es zu spät. „Woher hast du es denn gewusst?“, fragte Miraj auch prompt. Also verriet sie ihm, dass sie schon lange von ihrer Hochzeit geträumt hatte, bevor sie ihn kennenlernte.
Als sie geendet hatte, sah Miraj sie mit ganz anderen Augen an. „Ich kann es nicht glauben, dass du all diese Dinge die ganze Zeit für dich behalten hast. Du musst doch Angst gehabt haben.“ Er schüttelte fassungslos den Kopf, dann sagte er in seltsamem Tonfall: „Ich habe schon zu Anfang gemerkt, Anne, dass du anders bist als andere Mädchen … Frauen in deinem Alter. Mein Gefühl hat mich anscheinend nicht getrogen. Und nun verstehe ich auch das Verhalten von Animus. Er hat gespürt, dass du eine Somnia bist.“ Miraj saß einen Moment in dumpfes Brüten versunken da.
„Also gut. Ich brauche wohl noch eine Weile, um das alles zu verdauen. Aber das ändert nichts daran, dass wir trainieren müssen.“ Anne staunte. „Trainieren? Wofür?“ Miraj sah sie verständnislos an. „Ich werde mit dir Zauber üben müssen. Grüne Zauber. Dein Bruder wollte dich sehen. Ich gehe davon aus, dass er dich zum Kampf herausfordern wird, sobald wir ihn gefunden haben. Und ich verlasse mich lieber nicht darauf, dass es nicht dazu kommt.“ Anne spürte, wie ihr Gesicht blutleer wurde. „Kampf? Aber ich kann doch gar nicht mit dem Schwert umgehen.“ Miraj erklärte: „Ich meinte einen magischen Kampf. Ein Duell. Er wird seine Kräfte mit deinen messen wollen, denn nach allem, was ich gehört habe, bin ich mir sicher, dass er schon länger von deinen Fähigkeiten wusste, nicht erst seit seiner Entführung.“ Anne wunderte sich über Mirajs Rückschlüsse: „Aber woher sollte er davon wissen?“ Miraj runzelte die Stirn. „Nun, sicher kann er einen Teil erahnen. Aber es ist auch gut möglich, dass es ihm jemand gesagt hat. – „Aber wer sollte …?“, fing Anne an. „Das werden wir schon noch herausfinden. Jedenfalls sollten wir gleich mit dem Training beginnen, sobald du dich etwas ausgeruht hast. Wer weiß, wie lange wir noch Zeit haben, bis wir auf Henri treffen.“
Miraj schien am liebsten gleich loslegen zu wollen, aber Anne war noch in ihre Überlegungen vertieft. Sie sagte: „Ich verstehe noch nicht ganz, wie es Aracio und den anderen gelingen konnte, in die sichere Zone einzudringen.“ Miraj lachte bitter auf. „Henri wird ihnen erklärt haben, wie sie sich an den einzelnen Steinkreisen verhalten sollen.“ Anne beharrte: „Aber wie konnten sie an den Wachen vorbeikommen?“ Ihr verhinderter Ehemann sah ihr direkt ins Gesicht. „Ist es dir nicht aufgefallen, als wir den dritten Steinkreis passiert haben? Sie haben die Wachen zusammengeschlagen und gefesselt – es war zweifellos ein günstiger Moment, als alle auf der Hochzeit waren. So lagen sie immer noch da, einige unserer Männer haben sie vorhin befreit. Laut den Wachen haben sie ihnen ihre Smaragde weggenommen und sind damit nacheinander hindurch geritten. Immer zu zweit, dann ist einer zurück und hat beide Smaragde wieder mitgenommen. Sie mussten das ja nur auf dem Hinweg tun, denn zurück kommt man ohne jede Vorsichtsmaßnahme. Sie haben die Grünmagier schlichtweg überlistet. Man wird über neue Sicherheitsmaßnahmen nachdenken müssen nach diesem Vorfall.“
„Tja, das haben sie ja bereits getan“, sagte Anne in zynischem Ton. Miraj nickte. „Das ist das Schlimmste an allem. Aracio und seine Männer haben das ohnehin immer wieder aufwallende Misstrauen der Grünmagier auf einen neuen Höhepunkt
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