Altstadtfest
hübsches kleines Imperium verwaltete: die Petazzi-Gruppe. Die italienische Nachkriegspolitik ist voller verrückter Kehrtwenden, aber selbst die zynischsten Journalisten staunten nicht schlecht, als sich der Namensgeber dieses Mischkonzerns eines Tages an der Seite von Umberto Bossi zeigte, dem Chef der Lega Nord. Dort empfing man ihn mit offenen Armen: einen einflussreichen, redegewandten Unternehmer, dessen angeblich linkes Herz für die Bauern, Gewerbetreibenden und Steuerzahler seiner norditalienischen Heimat schlug. Wer beteiligte seine Angestellten am Betriebsgewinn? Petazzi. Wer gewährte ihnen einen jährlichen Freiflug zu einem Ziel ihrer Wahl? Petazzi. Dass die Arbeiter in seinen ausländischen Niederlassungen unter ganz anderen Bedingungen schufteten, war kein Thema. Wen interessierten schon ein paar Tausend Vietnamesen oder Pakistani? Petazzi jedenfalls nicht. Lieber zog er gegen die Ausländer im eigenen Land vom Leder: gegen Einwanderer, Asylanten und natürlich gegen die aus dem Mezzogiorno. Ausgleichszahlungen für den maroden Süden? Nicht mit dem Signore. In Sachen Autonomie gab er sich moderater als andere, indem er für eine weitgehende Eigenständigkeit Norditaliens ohne Loslösung von Rom plädierte. Für die Berlusconi-Regierung, in der die Lega vier Minister stellte, galt er als gesetzt, zog aber den Verbleib im geliebten Padanien vor, der Region zwischen Turin, Venedig und Florenz. Es wurde spekuliert, dass die amerikanische Regierung auf diesen Verzicht gedrängt habe. Petazzi hasste die USA .
Von alledem hatte mir der Kunsthistoriker mit dem Schablonenbärtchen nichts erzählt. Palazzi aus dem 17. Jahrhundert und eine defizitäre Galerie, weiter reichte der Horizont des Dr. Nerius nicht.
Wieder zu Hause, versuchte ich, Christine telefonisch zu erreichen. Aus dem Versuch wurde eine lustige Konversation mit zwei Hotelangestellten, von denen der eine nur Italienisch, der andere eine Version von Englisch sprach, die ich für Französisch gehalten hätte. Ich selbst kann noch weniger Italienisch als Südhessisch und beneidete für einen langen, schmerzlichen Augenblick das Sprachwunder Nerius.
»Lasciare una notizia«, brüllte ich, als würden meine Vokabeln durch Lautstärke begreiflicher. »Okay? Una notizia per Signora Markwart.«
»Okay!«, kam es zurück. »What? Who?«
»Signora Markwart, Heidelberg. Telefonare a Max Koller. Capisco?«
»Sì, okay! Signora what?«
»Markwart. Mark – wart!«
»Ah, Signora Marchevarte, sì, okay, ciao!«
Ja, ciao. Christine hatte behauptet, in ihrem Hotel sprächen sie Deutsch. So wie sie in Heidelberg Deutsch sprachen wahrscheinlich. Signora Marchevarte – ich musste mir nur vorstellen, dass irgendein Adriano dort unten meine Exfrau so anschmachtete, da ging mir das Messer in der Hosentasche auf.
Interessant. Sollte es Eifersucht gewesen sein, was da eben durch meine Seele zuckte? Ein Hauch von Eifersucht wenigstens? Das wäre mehr als eine Überraschung. Eine Sensation wäre das. Jedenfalls hatte irgendetwas gezwickt, vielleicht bloß ein Bauchmuskel. Keine Ahnung, mit Bauchmuskeln kenne ich mich nicht aus. Und mit Eifersucht erst recht nicht.
Im Liegen dachte ich eine Weile über Christine nach. Es sprach nichts dagegen, beim nächsten Telefonat ein wenig netter zu ihr zu sein. Wir waren schließlich immer noch miteinander befreundet. Abgesehen davon erhoffte ich mir Informationen von ihr. Von ihr und von Kommissar Fischer, meinem ganz persönlichen Lieblingsermittler. Bei dem würde ein bisschen Nettigkeit allerdings nicht reichen, da musste ich schon mit mehr kommen. Ich döste fünf Minuten vor mich hin, dann sprang ich auf und rief Fischer an. Aber auch er ließ sich telefonisch verleugnen; in seinem Büro meldete sich nur der Anrufbeantworter.
Also sattelte ich wieder mal eines meiner Pferdchen und steuerte über Ernst-Walz-Brücke und Hauptbahnhof die Südstadt an. Heidelbergs Mezzogiorno, kam mir in den Sinn, als ich vor den Amibaracken mit ihrem Stacheldraht und den Panzersperren links abbog.
Natürlich stimmte das nicht. Die Südstadt ist weder Armensiedlung noch Reichengetto. Hier reihen sich lauter adrette Häuschen aneinander, die Gärten sind gepflegt, die Zäune frisch gestrichen, und am Wochenende wird gegrillt. Der Bäcker nebenan gehört zwar einer Kette, dafür schließt er am Mittwochnachmittag. Und am frühen Dienstagabend kann es vorkommen, dass es schon vor der Tür eines dieser schmucken Einfamilienhäuschen nach
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