Altstadtfest
hatten, da konnte Kommissar Greiner reden, so viel er wollte. Meiner Ansicht nach rechneten auch Glatzen in Kategorien des Nutzens, und was nutzte ihnen eine Ballerei auf dem Uniplatz? 1980 war das anders gewesen, da hatte die Bombe auf dem Oktoberfest sofort zur Wahlkampfmunition getaugt. Und es gab nicht wenige, die behaupteten, genau deswegen sei sie gezündet worden: als Sperrfeuer für Franz Josef Strauß bei seinem Sturm auf das Kanzleramt. Der zog auch gleich über die Laschheit der Bundesregierung gegenüber den Linken her, aber nur, bis herauskam, dass ein Rechtsradikaler die Bombe gelegt hatte.
Und das Attentat vom Uniplatz: Wem nutzte das? Dem Ego durchgeknallter Rassisten? Vielleicht. Das Land würden sie dadurch kaum hinter sich scharen. Wäre es nicht schlauer gewesen, Namen und Ziele der Gruppe zu verheimlichen – so, wie man sich Mühe gegeben hatte, die Identität des Täters zu verschleiern? Nun hatte der Verfassungsschutz ein klares Ziel, konnte sich ganz auf den neuen Gegner einstellen.
Also doch ein Ablenkungsmanöver?
Interessant war außerdem, dass nur die Polizei ein Bekennerschreiben erhalten hatte. Wenn man schon Werbung in eigener Sache machte, warum informierte man dann nicht auch die Medien? Ohne die Indiskretion gegenüber den Neckar-Nachrichten wüsste die Öffentlichkeit bis heute nichts über die Gruppe, und der Kampfname Arische Front hatte noch in keiner Zeitung gestanden.
Ich hob eine Walnuss auf, die vom Baum gefallen war, und schickte sie einer Krähe hinterher. Einzige Reaktion: ein Ruf, der wie höhnisches Gelächter klang.
»Lach du nur«, dachte ich. Es war ja auch absurd, hier zu sitzen und die verworrenen Gedankengänge von Neonazis nachzuvollziehen. Ich wurde nicht einmal dafür bezahlt.
Bezahlt wurde ich dafür, Belege zu finden. Belege für Petazzis Theorie vom gezielten Anschlag auf seine Tochter. Oder Belege dagegen. So weit der offizielle Auftrag. Inoffiziell sollte ich einem Vater, der sich für sein Kind nie richtig interessiert hatte, Nachhilfeunterricht geben: Das wäre Ihre Tochter gewesen. Das würde sie jetzt unternehmen, wenn sie noch am Leben wäre. So hat sie über ihre Familie gedacht, bevor sie erschossen wurde.
Ein verkorkstes Verhältnis zwischen Vater und Tochter. Alles andere als spektakulär. Und was ging es mich an?
Zurück zum offiziellen Teil meines Auftrags. Kommissar Fischer hatte recht: Petazzis Theorie war scheintot, mindestens. Vielleicht war sie nicht grundsätzlich widerlegt, aber so ziemlich alles sprach gegen sie. Der Täter hatte nicht gezielt. Er hatte die erste Reihe der Besucher aufs Korn genommen und die Waffe von links nach rechts gerissen. Alles ging viel zu schnell, um sich auf eine bestimmte Person zu konzentrieren.
»Unsinn!«, hörte ich Petazzi rufen. »Sie vergessen, dass das eigentliche Anschlagsziel verheimlicht werden sollte. Deshalb die vier Toten. Der Täter wusste, dass meine Tochter in der ersten Reihe stand.«
Ach, das wusste er? Und woher?
»Er hat sie beobachtet, vorher. Sobald sie vorne stand, rannte er zur Bühnenrückseite, kletterte hoch und schoss auf die Leute in der ersten Reihe.«
Wie soll er sie beobachtet haben? Er wird sich ganz bestimmt nicht unter die Besucher gemischt haben, in seiner auffälligen Kleidung, eine Waffe in der Hand.
»Dann hielt er sich abseits, am Rand des Platzes. Die Waffe versteckte er natürlich.«
Aber seinen Motorradhelm hatte er auf? Die ganze Zeit?
»Warum nicht?« Petazzis Ungeduld wuchs, ich hörte es, auch wenn sich Wolfgang Nerius alle Mühe gab, sie abzumildern. »Vielleicht gab es einen Komplizen, der ihm signalisierte, wann Beatrice vor der Bühne stand.«
Sie meinen, der Täter wartete verborgen auf dem Marsiliusplatz, bis sein Kumpel gerannt kam und ihm das Zeichen gab? Dann schlug er los?
»Genau.«
Wenn das möglich gewesen sein soll, dann ist es auch möglich, dass Beatrice von diesem Komplizen um Viertel nach acht vor die Bühne gelotst wurde. Mit welchem Trick auch immer.
»Ja, denkbar.«
Nur musste sich dann dieser Komplize rechtzeitig aus dem Staub machen, sonst wurde er ja selbst Opfer des Schützen.
»Es sei denn, der Komplize war nicht in alles eingeweiht und sein Tod von vornherein geplant.«
Jetzt wird es aber haarsträubend, Signor Petazzi. Dann gäbe es ja drei Kategorien von Opfern: Ihre Tochter, den ahnungslosen Komplizen, und wer sonst noch in der ersten Reihe stand. Außerdem müsste man von einem dritten Mann ausgehen, der im
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