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Altstadtfest

Altstadtfest

Titel: Altstadtfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbsweiler
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»Dann hörten wir die Schüsse.«
    Ich nickte. Anna wischte sich mit dem Ärmel ihres Hemds über die Augen.
    »Trink einen Schluck Tee«, sagte Maike, was Anna auch prompt tat.
    »Sie ging also alleine zu dieser Band?«, fragte ich. »Ohne jemanden dort treffen zu wollen?«
    Anna nickte.
    »Und es vergingen nur ein paar Minuten von ihrem Weggang bis zu den Schüssen?«
    »Ja.«
    »Mit anderen Worten, es war absoluter Zufall, dass Bea in diesem Moment vor der Bühne stand.«
    »Schon.«
    »Natürlich war es Zufall«, mischte sich Maike ein. »Ihr Vater hat einen Sparren ab.«
    Ein Handy klingelte. Anna zuckte zusammen und stand auf. Verfolgt von Maikes strengen Blicken, verließ sie die Küche.
    »Wie lange habt ihr zusammen gewohnt? Seit Bea in Heidelberg war?«
    »Ja, Anna und sie zogen gemeinsam bei mir ein. Ich fand, das passte. Zwei Deutsche und eine Italienerin. Zwei Junge und eine Alte.«
    Diesmal kommentierte sie mein Grinsen nicht. »Also kanntet ihr sie ein gutes Jahr. Hat sie in letzter Zeit anders gewirkt als sonst? Besorgt, beunruhigt, vielleicht sogar verängstigt?«
    »Quatsch«, entgegnete sie. »Überhaupt nicht. Sie war richtig gut drauf.« Und dann, weniger brüsk: »Das ist ja die Scheiße.«
    Anna kehrte zurück. »Wieder er?«, wollte Maike wissen. Anna nickte und legte das Handy neben die Spüle. Dann setzte sie sich und starrte in eine Ecke. Hinter ihr an der Küchentür hing ein Plakat mit der Bildzeile: ›Wir sind diejenigen, vor denen uns unsere Eltern immer gewarnt haben‹. Sehr witzig. Vor Mädchen wie Anna brauchte man niemanden zu warnen, nicht einmal Mädchen wie Anna.
    »Gut. Was für einen Bekanntenkreis hatte sie? Mit wem traf sie sich?«
    Maike zuckte die Achseln. »Gemischt. Hauptsächlich Kommilitonen, die meisten aus Geschichte. Da hat sie in der Fachschaft mitgearbeitet.«
    »Studiert ihr das auch?«
    »Ich ja. Ich promoviere gerade.«
    »Und du?«
    »Pädagogik«, sagte Anna, ohne den Kopf zu heben. »Aber vielleicht wechsele ich demnächst.«
    Sie sollte es mal mit Psychologie probieren, da konnte ich ihr jede Menge guter Tipps geben. Nur nicht, wie man zur Bibliothek fand oder das Studium erfolgreich beendete.
    »Hatte sie italienische Freunde?«
    »Nicht sehr viele«, antwortete Maike. »Weniger als deutsche jedenfalls.«
    »War jemand Auffälliges darunter? Einer, der radikale politische Vorstellungen hatte? Oder einer, der euch persönlich irgendwie verdächtig vorkam?«
    »Jedenfalls keiner, den man mit einem Mord in Verbindung bringen würde«, sagte Maike nach kurzem Zögern. »Alle, die ich kannte, waren völlig normale Typen. Politisch aktiv, ja. Aber nicht radikal.«
    »Höchstens dieser ältere Typ, mit dem sie sich ab und zu getroffen hat«, warf Anna ein.
    »Der ihr das E-Piano geliehen hat? Harmlos.«
    »Wie heißt der Mann?«
    Beide zuckten die Achseln. »Rainer, Rüdiger«, sagte Maike. »Keine Ahnung. Hab ihn nur kurz mal gesehen. So ein Altlinker.«
    »Hatte Bea denn einen Freund?«
    »Nein.«
    Erneut meldete sich das Handy. Maike sprang auf, überprüfte die Nummer auf dem Display und ging in ihr Zimmer. Sie schloss die Tür hinter sich, kein einziges Wort war zu verstehen. Die Botschaft verstand man trotzdem: Scher dich zum Teufel!
    Anna lächelte verlegen. Sie zog ein Bein nach oben, bis sie ihr Kinn auf das Knie legen konnte, und setzte die Ferse auf den Stuhl. Der Tee in ihrer Tasse dampfte still vor sich hin. Ich machte mir ein paar Notizen.
    »Sie wollte in Deutschland bleiben«, sagte Anna leise. »Glaube ich jedenfalls. Sie hatte sich erkundigt, was sie für ihren Abschluss hier brauchte.«
    Ich nickte.
    Dann kam Maike zurück. Sie reichte Anna das Handy und brachte sogar ein Lächeln zustande.
    »Der hat zum letzten Mal hier angerufen«, verkündete sie triumphierend. »Unter Garantie.«
    Ich sah sie fasziniert an. Es klingt vielleicht blöd, aber ihre Augen waren nicht von dieser Welt.
    Zehn Minuten später stand ich wieder in der Kleinschmidtstraße, die gepiercten Verkäuferinnen schoben Super-kille-kille-Waren über das Lasersichtfeld ihrer Kasse, und das mehrstimmige Gepiepse, das dabei entstand, vermüllte den Raum. Die blonde Maike hatte mir den Anblick ihrer Augen nicht länger gegönnt, sondern das Gespräch ziemlich abrupt beendet. War auch in Ordnung, ich hatte schließlich einen Termin.
    Mittwochs um drei ist die OEG nie besonders voll. Leer genug für ein konspiratives Treffen aber auch nicht. Ich löste ein 24-Stunden-Ticket und

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