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Altstadtfest

Altstadtfest

Titel: Altstadtfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbsweiler
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ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war auch sie kein Kind von Traurigkeit, womit ihr Auftreten in gewissem Widerspruch zum Anlass der Gedenkfeier stand. »Bei uns in Buxtehude hatten wir auch mal ein’ Privot’n ängaschiert. Ist aber Ewigkeiten her, nich. Mein Mann hetzte mir damals so ein’ Detektiv auf den Hals. Mein zweiter Mann, genauer gesagt. Aber dieser Dööspaddel – ich meine den Detektiv – brachte es ja nich fertig, auf meiner Spur zu bleiben. Also hatte ich weiterhin mein Amüsemang. Alles Geld umsonst rausgeschmissen; was war der Kerl sauer.« Sie prostete uns zu. »Mein Mann natürlich.«
    »Dein zweiter Mann«, ergänzte ihr jetziger.
    »Nun sei nich gleich eingeschnappt, Oller! Wenn dir was an meinem Lebenswandel nich passt, kannst du ja den Herrn Koller ängaschieren.«
    »Sind Sie teuer?«, fragte der Mann. Der Großneffe lachte los.
    »Wo sind eigentlich die Italiener?«, wollte die Dürre wissen. Sie hatte ihre tiefen Augenhöhlen weinrot geschminkt und ein Tuch in derselben Farbe um ihre Schultern gelegt.
    »Man darf das nicht unterschätzen«, sagte Gollhoven. »In Italien registrieren sie genau, welche Unterstützung einer der Ihren im Ausland bekommt. Es kam schon aus weit nichtigerem Anlass zu diplomatischen Verwicklungen. Ich muss das wissen, schließlich stand ich …«
    »Wir aben Ihr Bild in der Zeitung gese’en«, lächelte seine Frau.
    Ich räusperte mich. »Leider bin ich dienstlich hier«, sagte ich, Zentimeter für Zentimeter zurückweichend. »Signor Petazzi erwartet mich. Sie entschuldigen also, wenn ich …«
    In diesem Moment geschah etwas Unerwartetes. Der halslose Mann schlug die Hacken zusammen und fuhr seinen Flusspferdkopf aus. Zwischen Brust und Kinn wurde tatsächlich ein Stück Hals mit Adamsapfel sichtbar. So präpariert, begann er zu sprechen, mit der leiernden Tenorstimme eines jungen Priesters, der drei Tassen Kaffee über den Durst getrunken hat oder am Zölibat verzweifelt. »Wir Rotarier«, deklamierte er, »sind sehr besorgt über die derzeitige politische Lage der Republik, die uns an den Rand dessen, was gemeinhin der Kleschofkaltschers, vulgo der Kampf der Kulturen, genannt wird, gebracht hat und die Folgen haben wird, Folgen nicht nur für die innen- und außenpolitische Stabilität der Republik, sondern auch für die wirtschaftliche und stabile Balance eines Gemeinwesens, das immer noch nicht in der Lage ist, sich der eigenen Wurzeln, geschweige denn der eigenen Stärken zu versichern und diese, die Wurzeln wie die Stärken, selbstbewusst und beispielgebend in die Weltöffentlichkeit hinauszutragen, nicht im Sinne eines fragwürdigen oder zumindest zu hinterfragenden Begriffs von Leitkultur, sondern eher basierend auf den geistigen Errungenschaften dieses unseres blühenden Landes, garniert mit einer Spur Stolz auf diese Heimat, denn nur wer das Eigene stolz und freudig vertritt, mit geradem Rücken, will ich einmal sagen, nur dem bringt der Fremde auch die nötige Achtung entgegen, zumal der Fremde, der Gast in unserem Land ist, weshalb wir Rotarier …«
    Hier fing er den Satz wieder von vorne an, und ich schwöre, er holte nicht einmal Luft. Die weinrot betuchte Dürre hing an seinen Lippen, die Gollhovens tuschelten miteinander, der Mann aus Buxtehude hatte sich eine Flasche geangelt und schenkte seiner durstigen Frau nach, der Großneffe kratzte sich mit offenem Mund an allen möglichen Körperstellen. Ich dagegen trat kurz nach der Leitkultur den Rückzug an. Was zu viel ist, ist zu viel. Im Augenwinkel sah ich Wolfgang Nerius vorbeihuschen. Der kam mir gerade recht; ich schnappte ihn am Ärmel und riss ihn mit mir fort. Drei, vier Schritte, und wir waren außer Sichtweite des Rotariers.
    »Schön, dass Sie da sind«, sagte Nerius, bemüht, den Schreck über meine kleine Attacke lächelnd zu überspielen.
    »So was Ähnliches sagt Ihre Frau auch die ganze Zeit. Nur zu mir nicht.«
    »Nun, vielleicht stört sie sich an Ihrer offensiven Art der Gesprächsführung. Wobei sie heute schlicht und einfach gestresst ist. Sie können sich nicht vorstellen, wer alles hier ist.«
    »Doch, das kann ich mittlerweile.«
    »So?«, murmelte er unbestimmt. Er nickte einem Mops im Zweireiher zu, deutete sogar eine kleine Verbeugung an, bevor er fortfuhr: »Ich wusste ja, wie viele wichtige Leute Signor Petazzi kennt. Aber wenn man die auf einem Haufen sieht, ist es etwas anderes.«
    »Wo ist Petazzi?«
    »Im Hof. Gibt es etwas Neues?«
    »Ja, und das

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