Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Altstadtfest

Altstadtfest

Titel: Altstadtfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbsweiler
Vom Netzwerk:
sollen Sie für mich übersetzen.«
    »Gerne, Herr Koller. Kommen Sie mit.«
    Gerne, Herr Koller, äffte ich ihn im Stillen nach, während ich ihm folgte. Wie konnte ein einzelner Mensch nur so servil sein? Musste ich ihm erst die schöne Kunsthistorikerfresse polieren, bevor er mir nicht mehr zu Diensten war? Lassen Sie doch bitte mal vor allen Leuten die Hosen runter, Herr Nerius. Aber gerne, Herr Koller. Gäbe es für Loyalität nicht schon einen Namen, ich hätte »Nerius« vorgeschlagen.
    Wir durchquerten die Räume zwei und drei, in denen das Gedränge nicht ganz so groß war wie vorne. Ein Quartett junger Damen packte eben seine Instrumente aus. Da schien also noch etwas auf uns zuzukommen. Nerius grüßte, winkte und lächelte, der Mops im Zweireiher bekam seine zweite Verbeugung ab und eine dritte von mir. Es gefiel mir einfach, den Kasper zu spielen. Dem Mops gefiel es anscheinend auch, jedenfalls schenkte er mir ein huldvolles Kopfnicken.
    »Bitte sehr, der Herr«, krähte es an meiner Seite. Die Kleine im noch kleineren Schwarzen. Ich erleichterte sie um ein Weinglas und trat hinter Nerius durch eine offene Tür ins Freie. Die Tür führte auf einen kleinen Innenhof, der an zwei Seiten von Hauswänden, an der dritten von einer dichten Hecke begrenzt wurde. Mitten im Hof stand ein Tisch und neben dem Tisch Signor Petazzi. Vor ihm, um ihn herum eine Reihe von Gästen. Das Licht vieler Fackeln zuckte durch die Dämmerung.
    »Grazie, mille grazie«, hörte ich Petazzi sagen.
    Steifbeinig stand er da, ein großer, stattlicher Mann mit grauen Schläfen. Sein Gehstock lehnte weiter hinten an der Wand. Aber der Signore war nicht einfach der Signore, und der Tisch neben ihm war kein gewöhnlicher Tisch, sondern ein schwarz verhüllter Altar. Ein Altar für Beatrice Petazzi. Von einem großen Bild blickte sie uns an, wie man nur in Fotostudios blickt, zwei Kerzen brannten, davor lag eine einzelne weiße Rose. Fehlte bloß der Weihrauch.
    »Grazie, mille grazie«, wiederholte Petazzi unablässig.
    Er war der Priester, der Geistliche, der Wächter über den Altar. Gebückt von Trauer, schlichen die Gläubigen zu ihm, sicherten ihm flüsternd ihre Solidarität zu, ihr Mitleid, mochte der Rest der Menschheit auch von ihm abgefallen sein. Sie bekannten sich zu ihm, und er griff nach ihrer Hand, um sie aufzunehmen in seinen Kreis. Ich habe gesündigt, Signore, ich konnte den Tod deiner Tochter nicht verhindern. Wirst du mir verzeihen?
    »Te absolvo, te absolvo …«
    Ja, es war eine Beichte, und jeder, der kam, hatte in seiner Demut etwas ganz Persönliches loszuwerden, auf Deutsch, auf Englisch oder Italienisch. Beileidskundgebungen, Durchhalteparolen, Sinnsprüche, Floskeln, Botschaften. Man fühlte sich schuldig, solange Beatrices Mädchenblick auf einem ruhte, man wagte nicht, laut zu sprechen, die Füße zu weit vom Boden zu heben. Gut, dass Petazzi so groß war, dass man ohne Kniefall zu ihm aufblicken, ihn von unten anflehen konnte.
    »Te absolvo, te absolvo …«
    Erlöst, erleichtert trat man zur Seite, um zum Abschluss der Beichte schriftlich zu kondolieren. Da stand ein weiterer Felsbrocken aus Petazzis Leibwächtersammlung, hielt ein aufgeschlagenes Buch mit Ledereinband vor sich und wackelte nicht einen Zentimeter, wenn der Füllfederhalter über das Büttenpapier fuhr. Ab und zu blätterte er um. Er hatte nicht ganz Luigis Statur, aber um Eindruck zu schinden, reichte es allemal.
    »Im Moment ist es nicht so günstig«, sagte Nerius. »Vielleicht später. Sie sehen ja.«
    Ich sah in der Tat: wie ein Mann im dunklen Sakko zu Petazzi trat, ihm die Hand reichte, etwas zuraunte und mit feierlichem Nicken entlassen wurde. Rasch kritzelte er ein paar Worte in das Kondolenzbuch. Dann legte er den Füller mit spitzen Fingern zurück und schlich davon, einen eigenartigen Ausdruck im Gesicht.
    »Hallo, Marc«, sagte ich und trat ihm in den Weg.
    Er sah mich an, ohne die Miene zu verziehen. »Ich. Trinken. Jetzt.«
    Gut, dass Nerius von anderen Gästen abgelenkt wurde. Ich krähte: »Bitte sehr, der Herr!«, und reichte Covet mein Glas. Er stürzte den Inhalt in einem Zug hinunter.
    »Noch eins«, sagte er.
    Die Kleine mit dem Weißweintablett bekam einen Besuch abgestattet, und nachdem Covet ein weiteres Glas geleert hatte, war er wieder ansprechbar.
    »Was für eine Veranstaltung!«, stöhnte er und lehnte sich mit dem Rücken an die Hauswand. »Nichts für zarte Gemüter wie mich. Diese Rituale machen einen

Weitere Kostenlose Bücher