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Altstadtfest

Altstadtfest

Titel: Altstadtfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbsweiler
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Jäger?«
    »Ich dachte, Sie gehen nur sonntags dorthin.«
    »Normalerweise, ja.«
    »Meinetwegen, ich komme. Allerdings erwarte ich einen wichtigen Anruf. Der hat Vorrang, verstehen Sie?«
    »Natürlich. Bis nachher.«
    Seufzend legte ich auf. Waren alle Schriftsteller so penetrant? Vielleicht hatte es sich bis zwölf Uhr wenigstens ausgeregnet.
    Die verbleibende Zeit nutzte ich, um meine Bude aufzuräumen und das Frühstücksgeschirr zu spülen. Anschließend tätigte ich ein paar Einkäufe im Supermarkt um die Ecke. Ich hatte schon ewig nichts Leckeres mehr gekocht. Der Regen ließ nur wenig nach, aber die frische Luft tat meinem Frascati-Schädel gut. Tropfnass kehrte ich nach Hause zurück, tropfnass langte ich gegen zwölf im Englischen Jäger an. Petazzis Kohle und mein Handy steckten geschützt in der Innentasche meiner Jacke.
    Anstelle des abendlichen Zigarettenqualms durchzog Küchenduft die Kneipe. Robert Usedom saß an einem kleinen Tisch und las die Neckar-Nachrichten. Er war der einzige Gast außer dem unvermeidlichen Stammpublikum, das langsam, aber sicher an seinen Stühlen festzuwachsen drohte. Hinter der Theke stand Maria, die glatzköpfige Wirtin, und trocknete Gläser ab.
    »Das ist ein Mistwetter, was?«, begrüßte mich der Schriftsteller, faltete die Zeitung zusammen und legte sie neben seine Brille auf den Tisch.
    »Nun weiß ich, wie sich Petazzi gestern Abend gefühlt haben muss.«
    »Okay, okay, wie oft soll ich es noch sagen? Es war eine dämliche Aktion.«
    Ich hängte meine tropfende Jacke über einen Stuhl und setzte mich auf den daneben. Meine Hosenbeine fühlten sich klamm an.
    »Ich war ein bisschen betrunken«, fuhr Usedom fort. »Sonst wäre es nicht so weit gekommen.«
    »Und jetzt halten Sie Ihren Pegel?« Ich zeigte auf das Glas, das vor ihm auf dem Tisch stand.
    »Bloß eine Weinschorle. Was trinken Sie?«
    Ich drehte mich um und rief Maria meine Bestellung durch den Gastraum zu. Obwohl ich deutlich artikuliert hatte, fragte sie dreimal nach.
    »Wasser? Sicuro?«
    Ich nickte.
    »Acqua minerale?«
    »Ja!«
    »Das bist nicht du, Max. Ist ein anderer, sieht aus wie du!« Kopfschüttelnd verschwand sie in der Küche.
    Usedom grinste. »Der Alkohol war aber nicht die Hauptursache. Sie hätten mich nicht so reizen sollen.«
    »Habe ich das?«
    »Na, und ob. Provoziert haben Sie mich. Sie sagten, ich sei ein Feigling. Ich würde bloß reden und nichts tun.«
    »Ist das so falsch? Sie sind schließlich Schriftsteller. Die neigen nicht unbedingt zum Tatendrang.«
    Seine Miene verfinsterte sich. »Woher wollen Sie das wissen?«
    »Stimmt es etwa nicht?«
    »Nein, es stimmt nicht. Absolut nicht. Ein dämliches Vorurteil. Und das aus Ihrem Mund!«
    »Was ist Besonderes an meinem Mund? Wenn ich ihn aufmache, kommen Vorurteile raus. Außerdem kannte ich bisher keine Schriftsteller. Sie sind der erste, und Ihre Spezialität scheinen Weißweinattacken zu sein.«
    »Da hätten Sie mich früher kennenlernen sollen.« Er ließ seinen Worten eine bedeutungsvolle Pause folgen, während der sich seine Finger mit den Bügeln der Brille beschäftigten. Maria kam, stellte eine Flasche Wasser und ein Glas auf den Tisch, dazu eine Packung Salzstangen. Wahrscheinlich befürchtete sie, anders bekäme ich den Sprudel nicht hinunter.
    »Früher«, sagte ich, »klar. Da waren Sie noch ganz anders drauf. Damals haben Sie Rotwein benutzt, richtig?«
    »Nein. Eine Panzerfaust. Sprengstoff.«
    Ich wartete.
    Er riss die Packung auf und entnahm ihr ein paar Salzstangen. »Ich war mal ein richtiger Krimineller, Herr Koller. Ist allerdings schon 30 Jahre her. Wilde Zeiten, damals.«
    Wilde Zeiten, natürlich. Solche Vorträge gehören zum Inventar des Englischen Jägers. Früher, als wir auf die Barrikaden gingen. Da war noch was los in der Republik. Straßenschlachten, Hausbesetzungen, Kommunen. Die Erinnerungen mussten aufpoliert werden, bevor sie Grünspan ansetzten. Also los, Robert Usedom, bringen wir es hinter uns. Ich lehnte mich in meinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme hinterm Kopf. In meinem Rücken betrat ein neuer Gast die Kneipe, aber ich drehte mich nicht um.
    »Ende der Siebziger stand ich vor Gericht«, erzählte Usedom. »Mitglied in einer terroristischen Vereinigung. Das war der Vorwurf, aber sie konnten ihn nicht beweisen. Glück gehabt. In jeder Hinsicht.« Er zerkrümelte eine Salzstange zwischen seinen Fingern. »Ich war damals jünger als Beatrice jetzt. Kam frisch von der Schule,

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