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Altstadtrebellen

Altstadtrebellen

Titel: Altstadtrebellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Giebel
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den Stehtisch: »Passt schon, Lucie. Bringst mir noch ein Packl Roth-Händle!«
     

Zum Bieseln nach Hannover
     
    Inzwischen sitzt Hannover-Fred mit seiner Wirtschaftszeitung wie immer an der Wand im hinteren Eck. Kurz darauf nehmen auch Chosy und Simmermann wieder ihre angestammten Plätze ein. Recht wortkarg dümpeln sie mit ihren Getränken vor sich hin, als Walter von seinem Spaziergang zurückkommt: »Ah, da seid’s ja alle«, meint er zur Begrüßung. Sein Gesichtsausdruck zeugt von einer tiefen Befriedigung, dass der Urzustand im Lokal wiederhergestellt ist. Lächelnd geht er auf Bronske zu: »Bronske, ich glaub, da liegt was unterm Tisch!« Bronske weiß natürlich, worauf er anspielt, und kontert mit seiner Reibeisenstimme sofort: »Das hätte ich gesehen, ich hab jetzt Kontaktlinsen!«
     
    Walter lacht bei Bronskes Antwort und setzt sich. Er registriert Simmermanns sturen Blick ins Bierglas: »Schwimmt da was Besonderes drin, oder warum schaust so?«
     
    Simmermann antwortet, ohne seine Position zu verändern: »Mein blöder Bruder. Jetzt hab ich ihn noch mal angerufen. Der kann doch mal vorbeikommen und schaun, wie ich so lebe. Außerdem muss er mir Geld leihen!« Plötzlich rüpelt er Chosy an, der erkennbar in einer anderen Gedankenwelt schwebt: »Sag halt du auch einmal was.«
     
    »Eeeheeehhh«, antwortet dieser, »ich hab gestern einen Film gesehen im Originalton. Robert De Niro hat eine ganz hohe Stimme!«
     
    Simmermann steigt gleich darauf ein: »Ja, das weiß ich doch, hab den Film doch gesehen: Butch Cassidy und Dingsda Kid, hab ich doch gesehen!«
     
    »Das war Robert Redford!«
     
    Simmermann wendet sich an Walter: »Wieso kommst du eigentlich jetzt erst, sonst bin doch immer ich der Erste?«
     
    »Ich war doch heute schon mal da! Aber zu früh. Dann bin ich halt noch ein bisschen spazieren gegangen. Du, so ein Industriegelände hat was. Das hat mich direkt an die EXPO damals erinnert!«
     
    »An was?«, fragt Simmermann.
     
    »Ah ja, da war doch damals so eine Weltausstellung in Hannover, weißt es nicht mehr?«
     
    »Und dort warst du?«
     
    »Freilich da war ich dort. Das hab ich mir angeschaut!«
     
    »Und wie war’s?«
     
    »Ah, geh, das ist ja schon so lange her!«
     
    »Na, jetzt erzähl halt!«
     
    »Ja, ich hab Pech gehabt, weil ich den letzten Tag dort war! Sechs Stunden bin ich vor dem Deutschen Pavillon angestanden, und dann haben sie zugesperrt. Nur noch einen Blick hab ich reinwerfen dürfen!«
     
    »Und was war da drin?«
     
    »Ah ja, da haben sie schon … also einiges …«, Walter stockt, »… also, eine Menge Fernseher waren drin!«
     
    »Wegen ein paar Fernsehern fährst du nach Hannover? Sechs Stunden stellt er sich an …«, wendet sich Simmermann an Chosy, »… sechs Stunden. Jetzt haben sie gerade wieder in der Zeitung geschrieben, dass der Mensch in seinem Leben zu lange wartet. Hast du gewusst, Chosy, dass der Mensch ein Fünftel seines Lebens wartet? Das musst du dir mal vorstellen, ein Fünftel, das sind …«, Simmermann rechnet, »… knapp zwanzig Prozent!«
     
    Nach ein paar stillen Sekunden meint Chosy: »Simmermann, was willst du mir damit eigentlich sagen?«
     
    »Na, überleg doch mal. Wenn du 65 bist und hättest nie warten müssen, dann wärst du erst 51!«
     
    »Das ist ein Schmarrn. Da wartest du dein Leben lang auf deine Rente und dann sollst du noch mal 14 Jahre länger arbeiten!«
     
    Da meldet sich wieder Chosy: »Eeheeeh, sag mal, Walter, was wolltest du eigentlich auf dieser EXPO?«
     
    »Ich wollte bloß wissen, wo genau dieser Prinz August hingebieselt hat. Weil ich hätte dann auch hingebieselt. Und danach hätte ich mir gedacht: Wer weiß, für was es gut ist! Aber ich hatte den genauen Pavillon vergessen, also hab ich für alle Fälle überall hingebieselt. Ist aber nichts passiert, mich hat keiner fotografiert, gar nix.«
     
    »Hast du das gehört, Chosy, jetzt fährt er schon zum Bieseln nach Hannover!«
     
    »Nein…«, beschwert sich Walter, »… bei dir darf man gar keinen Witz mehr machen. Ich wollte halt einmal in meinem Leben die ganze Welt sehen. Deswegen bin ich hingefahren. Und jetzt hab ich sie gesehen. Wenn auch nur von außen!«
     
    Rote Flecken bilden sich in Walters Gesicht. Simmermann sieht das und will ihn beruhigen: »Ja, Walter, ist ja schon gut!«
     
    »Nein, jetzt ist es nicht mehr gut!«, antwortet er, den Tränen nahe. Simmermann, mit Walters Empfindlichkeiten durchaus vertraut, beugt

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