Altstadtrebellen
völlig falsche Weg, wenn man mich fragt. Ich habe schon immer gesagt, wenn sich zwei Menschen kennen lernen und auf Anhieb verstehen, sollte der erste gemeinsame Akt immer der Geschlechtsakt sein. Alles andere ergibt sich. Das lässt sich durchaus historisch untermauern, da muss man nur ein paar Bücher durchblättern. Altes Testament oder Homers Odyssee, erst der Geschlechtsakt, alles Weitere ergibt sich. Das ist wie beim Essen, erst muss man essen und nur wenn’s geschmeckt hat, kann man auch das Rezept aufschreiben. So viel von meiner Seite.«
»Ja, Puschkin, is ja gut. Bei mir ist das mit dem Balzfüttern zu Ende. Wir drei hier, das gefällt mir. Das ist für mich praktisch wie Urlaub.«
Placebo: »Ja, wenn ich eine Arbeit hätte, dann hätte ich wahrscheinlich jetzt auch Urlaub. So kann ich nur schwer sagen, was ich habe. Aber mit den Frauen, da hast du Recht, das ist wirklich ein sehr großes Problem. Es wird langsam Zeit, dass ich eine kennen lerne. Wäre da nicht meine verdammte Schüchternheit. Jetzt probier ich’s grad mit dem Ratschlag aus der Apothekenzeitung. Man kann seine Schüchternheit besiegen, indem man seine eigene Vorstellungskraft benutzt. Das habe ich gestern mal ausprobiert. Ich war im Englischen Garten, habe mich auf eine Parkbank gesetzt, neben eine junge Frau. Weißt, so eine 25-Jährige. Und habe meine Vorstellungskraft genutzt. Ich hab mir vorgestellt, sie ist weit über achtzig. Und weißt warum? Weil mit den alten Leuten kann ich recht gut. Und von meiner Seite hat es auch ganz gut funktioniert, ich habe gleich losgelegt: ›Ist gut, dass hier überall Parkbänke rumstehen, da muss man nicht so viel laufen.‹ Sie hat überhaupt nicht reagiert, gar nicht. Dann habe ich sie gefragt: ›Und mit dem Essen, klappt’s? Gibt ja so tolle Haftcremes heute.‹ Da ist sie aufgestanden und gegangen. Aber mit so einem Blick, ich glaube, die will was von mir. Da bin ich wie der McGyver, bloß nicht aufgeben.«
In diesem Augenblick lugt der Achter hinter dem Imbissstand hervor: »Ab heute bin ich fei die Marlene Dietrich.«
Exakt zwei Halbe Bier
Das war also meine aktuelle Lebenssituation, als ich mich mit Elmar am Viktualienmarkt traf, um gemeinsam mit ihm das Ersatzteil zu besorgen.
Und da machte ich den Fehler und sagte zum Elmar: »Jetzt setzen wir uns erst mal hin und trinken ein Bier.« Das haben wir auch gemacht, sind nicht zu einem Stehtisch, nein, wir haben uns hingesetzt. Und was haben wir gehabt? Jeder exakt zwei Halbe Bier. Ich höchstens drei. Aber bei ihm waren es zwei Halbe, und auf einmal war der dicht, der war abgefüllt. Ich war richtig enttäuscht, fast verbittert. Ich kenne den doch von der Wohngemeinschaft, früher hat der doch mehr als ein Bier getrunken. Ich bin mir sicher, dass dieser Sport dran schuld ist. Durch den Sport hat er sich die Enzyme, die den Alkohol abbauen, wegtrainiert. Da war der dicht und wollte sofort heim.
Er rumpelt hoch, geht mit diesem eingedrehten Schmerzgang zu seinem Fahrrad. Ich habe ihm zugeschaut, das hat ewig gedauert, bis der auf dem Radl saß. Und dann noch leichter Regen. Wie Quasimodo ist der weggewackelt. Ich habe mir noch gedacht: Oh, oh, hab ich mir gedacht. Und tatsächlich, in der Thierschstra ße ist es passiert. Kommt der mit dem Radl direkt in die Trambahngleise hinein. Ausgerechnet in der Straße, wo er noch vor einem Jahr den Bürgerentscheid unterschrieben hat, dass da keine Buslinie hinkommen soll. Herzlichen Glückwunsch, sage ich nur.
Der ist also in die Gleise reingekommen, am Anfang soll es noch ganz gut gegangen sein, auch in der ersten Kurve ist noch nichts passiert. Ich behaupte ja, wenn der sich nicht verkrampft hätte, wäre der bis ins Trambahndepot reingefahren. In solchen Situationen muss man auch mal umdenken. Man muss sich vorstellen, diese Gleise würden nur für dich und dein Rad gebaut. Wahrscheinlich hat er im entscheidenden Moment zu stark über seine Situation nachgedacht und dabei den Glauben an sich verloren. So muss es passiert sein. Anders kann ich mir das nicht vorstellen. Alles mental, alles im Kopf. Da hat jeder Mensch eine Fehlschaltung. Ich ärgere mich manchmal über mich selbst. Ich könnte wunderbar kleine Dinge reparieren. So Kreuzschlitz, Schraube und Kabel abtrennen. Wenn ich alleine bin, dann kann ich das, aber in dem Moment, in dem jemand neben mir steht und zuschaut und noch blöde Bemerkungen macht wie: »Das klappt nie!«, ist alles aus!
Allein
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