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Altstadtrebellen

Altstadtrebellen

Titel: Altstadtrebellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Giebel
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deshalb bin ich mal in ein Klavierkonzert gegangen, weil ich wissen wollte, ob es nur mir so geht oder anderen auch. Herkulessaal, festliche Stimmung. Ich saß ganz vorne. Der Pianist mittendrin, großes Orchester, Chopin, Klavierkonzert Nummer 2, Opus 21. Mitten im Larghetto rief ich ihm zu: »Schau doch mal auf deine Finger, kannst du das wirklich?«
     
    Und schon griff er daneben. Das war natürlich gemein, so was macht man nicht. Aber ich wollte es halt wissen. Und so war das, glaube ich, beim Elmar auch, im entscheidenden Moment hat er den Glauben an sich verloren. Jetzt liegt er im Klinikum Großhadern. Mehrere Brüche, Schock, Schleudertrauma.
     

Die Odyssee
     

Keine Erfahrung mit Gemütlichkeit
     
    Der arme Elmar im Krankenhaus hat keine Frau mehr, und der Sport steht bei ihm in naher Zukunft auch auf sehr wackeligen Beinen, denn im Klinikum Großhadern hat man neben seinen Knochenbrüchen und seinem Schleudertrauma auch noch erhöhte Blutzuckerwerte festgestellt. Und eine Niere soll auch nicht mehr so richtig funktionieren. Wenn man länger im Krankenhaus liegt, passiert es leicht, dass die Ärzte immer mehr Krankheiten finden. Man braucht nur an einen jungen dynamischen Spezialisten zu geraten, und schon ist es aus, an irgendeinen jungen dynamischen Spezialisten für schwere Leberschäden zum Beispiel. Aus, vorbei. Da nützt einem die schönste Leber nichts.
     
    Aber das schlechte Gewissen war da. Ich bin schuld. Ich habe ihn zum Trinken überredet. Ich hätte wissen müssen, dass so einer wie Elmar nichts verträgt. Knochig, sehnig, sportlich, keine Erfahrung mit Gemütlichkeit, das hätte ich wissen müssen. Da ich aber jede Erfahrung mit der Ungemütlichkeit so weit wie möglich ablehne, gebe ich meinem Schuldgefühl Bewährung. Was soll schließlich aus Elmar werden, wenn er wieder rauskommt aus dem Klinikum? Bei seiner labilen Psyche. Und körperlich, wer weiß, nicht einwandfrei? Was für eine Beschäftigung könnte ihn ausfüllen, ihm Halt geben? Wäre es da nicht eine kleine Wiedergutmachung meinerseits, etwas parat zu haben bei seiner Entlassung? Aber dazu muss man sich inspirieren lassen, das geht nicht einfach durch stummes Nachdenken.
     
    Und so haben Puschkin, Placebo und ich beschlossen, uns in der Stadt ein bisschen umzusehen.
     
    Und da Isabella, meine einstige Lebensgefährtin, nach dem letzten Vorfall das Türschloss auswechselte, hatte ich nicht nur Zeit, sondern auch den drängenden Wunsch nach einer neuen Unterkunft. Ganz ohne Diskussion konnte ich meinen Vorschlag, durch die Stadt zu wandern, allerdings nicht durchsetzen: »Ich habe euch doch die Geschichte erzählt, von Elmar und seiner Problematik. Vielleicht finden wir was für ihn, wenn er rauskommt, dass er wieder eine Aufgabe hat.«
     
    Puschkin: »Aufgabe, Aufgabe, Aufgabe … Wie meinen Sie das, mein junger Held? Aufgabe. Soll er vielleicht aufgeben? Das wäre meine Empfehlung.«
     
    »Nein, dass wir für ihn irgendwas finden. So eine Art Sinn des Lebens.«
     
    Puschkin: »Warum? Er wird ohnehin nicht alt werden. Zu viel Energieverbrauch. Das ist wie bei den Gazellen und Bergziegen, immer am Laufen, daher kein langes Leben. Alligatoren, Schildkröten, Elefanten, die werden alt, bewegen sich nur, wenn sie müssen.«
     
    Placebo: »Ja, mei, da werden wir schon was finden für den armen Teufel.«
     
    Von hinten ruft der Achter zu uns rüber: »Ich bin fei a multiple Persönlichkeit!«
     
    Puschkin: »Aber das wissen wir doch, Achter.«
     
    Achter: »Möchtet ihr auch wissen, wer ich gerade bin?«
     
    Puschkin: »Später, Achter, später. Wie war das noch mal? Sinn des Lebens? Ich kann ja noch mal nachsehen. Lazarett, Leasing, Leben. Das Leben widerspricht den Regeln. Na also!«
     
    »Ja, toll, Puschkin, das hilft uns jetzt aber nicht weiter.«
     
    Puschkin: »Aber mir. Ich muss in den Süden, dort wartet eine Frau auf mich. Aber gut«, sagte er streng, »dieses eine Mal, ich komme mit!«
     
    So marschierten wir also los. Placebo kaufte sich noch einen Kamm. Weil den Viktualienmarkt verlassen und in die große weite Welt wandern, sprich durch andere Teile Münchens, das war für ihn wie das eigene Wohnzimmer verlassen. Wer weiß, was für Menschen da draußen leben, da sollte dann wenigstens die Frisur stimmen! Puschkin marschierte unerwartet zielstrebig voraus, blieb aber mit einem Mal stehen, schlug sein Büchlein auf wie einen Stadtplan, stutzte, wir stutzten mit, was ist los, dachte ich mir, er tut so, als

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