Altstadtrebellen
Der Achter hat sich auch gern mal versteckt, hinter Straßenlaternen, hinter Hauswänden, und man sah nur sein halbes Gesicht.
Wenn sich die sichtbare Hälfte besonders regte, dann wollte er immer, dass man fragt, wer er sei. Der Placebo hat das dann immer übernommen, ist hingegangen und hat gefragt: »Wer bist’n grad?«
Dann hat er immer leicht patzig geantwortet: »I bin grad der Adenauer, hast des ned gmerkt?«
Aber er war harmlos. Interessant an ihm war noch: Er hat Unmengen von Alkohol vertragen. Man hat ihm nichts angemerkt, wahrscheinlich, weil er für alle sechs getrunken hat. Das ist eine Vermutung. Falls einer dicht war, ist er zum Nächsten übergesprungen.
Und mit der Frage nach ihm unterbrach Puschkin also unsere Unterhaltung.
Puschkin: »Was macht eigentlich unser Achter?«
Placebo: »Der steht hinter dem Kiosk und lächelt.«
Puschkin: »Er lächelt? Dann sei so gut, geh hin und frag ihn, wer er ist.«
Placebo: »Habe ich schon, er sagte, er wäre heut die Bauer Steffi, die würden wir nicht kennen.«
Puschkin: »Aha. Wo waren wir stehen geblieben, mein junger Held?«
»Ich glaube, bei den Gefühlen.«
Puschkin: »Es gibt Menschen, die haben ihre Gefühle im Bauch. Die kommen zu mir und sagen, das habe ich aus dem Bauch heraus entschieden. Das sagen komischerweise immer die, die keinen Bauch haben, ist Ihnen das schon mal aufgefallen? Aus was heraus haben sie dann entschieden? Aus dem Nichts heraus. Ich muss demnächst in den Süden, da wartet eine Frau auf mich.«
Placebo: »Ja, Puschkin, ich weiß nicht, ob ich mir das bloß einbilde, aber ich muss das jetzt nicht verstanden haben.«
»Er meint, dass es Menschen gibt, die ihre Gefühle bloß erfinden«, meinte ich ausgleichend.
Puschkin: »Ja, denn es ist alles Illusion! Das muss man erkennen und wieder verwerfen, sonst gibt’s kein Glück.«
Placebo: »Aber doch nicht das, was ich sehe. Schau, wenn da hinten ›Sushibar‹ steht, dann ist die doch da.«
Puschkin: »›Sushibar‹? Was soll das sein?«
Puschkin hebt seine Stimme, er regt sich deutlich auf. »›Sushi‹ steht wahrscheinlich für Subunternehmen solventer Holding Interessenten! So viel von meiner Seite.«
Placebo: »Ja, Puschkin, wahrscheinlich hast du Recht. Ich habe ja andere Probleme. Ich finde es schlimm, dass man sich im Leben für so viel interessieren muss, bloß damit man interessant ist.«
Achter: »Ich bin fei immer noch die Bauer Steffi, habt’s schon gemerkt?«
Ich musste den beiden dann erklären, warum ich mich überhaupt hier am Viktualienmarkt aufhalte. Ich erzählte ihnen ausführlich von meinen Versuchen mit Einkaufen, Kochen und Freunde einladen, Beziehungsgesprächen aus dem Weg zu gehen. Placebo und Puschkin blickten skeptisch. Daraufhin lud ich die beiden noch zu einigen Getränken ein.
Die arme Isabella
Als ich dann nach Hause kam, war das letzte befreundete Ehepaar schon sehr, sehr lange da. Alle standen irgendwie ratlos im Gang rum, jeder mit einem Bündel Salzstangen in der Hand, hatten sich mühselig durchgeknabbert. Und ich lehnte, zugegebenermaßen schwer betrunken, im Türstock, mit einem Alibi-Kopfsalat unter dem Arm. Das war das Einzige, was ich noch gekriegt habe. Was willst denn da jetzt groß erklären? Dass ich in der Stadt auf großer Mission war?
Ich habe dann angefangen, das letzte befreundete Ehepaar auch noch zu beschimpfen. Angriff ist die beste Verteidigung, bevor die mir blöd kommen. Die Isabella habe ich auch gleich mit einbezogen.
»Wie mir eure Mittelmäßigkeit auf den Sack geht. Warum muss immer ich kochen? Ich hab überhaupt kein Eigenleben mehr!«
Beleidigt, beleidigt, beleidigt!
Alle drei haben sich ihre Jacken angezogen, die Türe raus, das Treppenhaus hinunter. Ich hab natürlich wieder durchs Treppenhaus hinterhergeschimpft: »Euren blöden Alchimisten könnt ihr euch sonst wo hinstecken. Den hat dieser Paulo Coelho in elf Tagen geschrieben und wir reden schon seit vier Wochen davon!«
Die arme Susi
Die sind dann aus Protest alle drei ins Kino gegangen und haben sich zum vierten Mal Die fabelhafte Welt der Amélie angeschaut. Und ich habe mich aus Protest bei meinem Polit-Ehepaar eingeladen. Ich habe mir gedacht, jetzt hast du grad einen Lauf, jetzt müssen die herhalten. Als Gastgeschenk habe ich den beiden eine angebrochene Flasche »Ratzeputz« aus meinem Schrank mitgebracht, einen mit
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