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Altstadtrebellen

Altstadtrebellen

Titel: Altstadtrebellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Giebel
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so!«
     

Puschkin, Placebo und der Achter
     
    Zurück in München traf ich alsbald wieder meine neuen Freunde am gewohnten Platz am Viktualienmarkt. Das Verhältnis zwischen Placebo und Puschkin schien mir eine glückliche Symbiose zu sein. Puschkin zehrt von Placebos Schlichtheit in Ausdruck und Sprache. Und Placebo zieht sich seine Weisheiten gerne aus alten amerikanischen Action-Serien, die kaum noch jemand kennt. Darauf hat er mich auch gleich angesprochen.
     
    »Du, sag mal, wie findest du eigentlich die vom A-Team? Die lösen jedes Problem, weil sie ein Team sind. In jeder Folge haben die Probleme, aber irgendwie kriegen die das immer wieder hin. Genauso wie der McGyver. Kennst den McGyver? Der ist in größter Not, aber wenn der irgendwo eine Schnur findet oder eine Streichholzschachtel, da fällt dem schon was ein.«
     
    »Warum heißt du Placebo?«
     
    »Den Namen hat mir der Puschkin gegeben, weil ich oft mit dem Satz anfange: ›Ich weiß nicht, ob ich mir das nur einbilde, aber …‹ Erst vorhin hat mich jemand gefragt, wie spät es ist, da habe ich gesagt: ›Ich weiß nicht, ob ich mir das nur einbilde, aber ich glaube, wir haben immer noch Januar.‹«
     
    »Wissen Sie, mein junger Held«, fällt Puschkin ein, »im Grunde genommen ist alles Placebo, das wollen die Menschen bloß nicht wahrhaben. Alles entsteht im Kopf, die Sorgen, die Nöte, die Träume, aber die Menschen wollen es nicht wahrhaben. Schauen Sie doch nur, wie sie rennen.«
     
    Jetzt muss ich auch mal was sagen, dachte ich mir: »Ja langsam, langsam. Was ist mit den echten Gefühlen?«
     
    Er antwortet sofort: »Was reden Sie da, mein junger Held? Die Welt ist rational, der Mensch ist emotional. Das ist ein Widerspruch, mit dem wir leben müssen.«
     
    Gerade als ich ansetzen will, Puschkins Entschlossenheit auch hier Zweifel entgegenzusetzen, hebt er, um mich zu unterbrechen, seine Hand und dreht seinen gesenkten Kopf leicht zur Seite. Auch ich neige meinen Kopf etwas in diese Richtung und erkenne aus dem Augenwinkel zwei Männer am Stehtisch neben uns, die sich bei einem Bier unterhalten: »Mein Schwager, der sich den BMW auf Raten gekauft hat, der hat jetzt einen Totalschaden gebaut …«
     
    »Ja, meine Schwester auch, die hat ihren Wagen verkaufen müssen, weil ihre Wohnung so teuer ist …«
     
    »Die Polizei sagt, er war schuld, ganz sicher ist es noch nicht, aber es schaut so aus …«
     
    »Weißt du, was die jetzt zahlt für ihre Wohnung? 860 Euro, ohne Nebenkosten …«
     
    »Wenn du dir jetzt vorstellst …«, und dabei taucht er seinen Zeigefinger in das Bier des anderen und fängt an, damit auf dem Tisch zu malen, »… das ist die Kreuzung …«
     
    »Das ist ein Wohnzimmer, ein Schlafzimmer, die Kochnische, der Korridor, 860 Euro ohne Nebenkosten …«
     
    »Also …«, setzt er seine Beschreibung fort, »… das ist die Kreuzung, er kommt von da, blinkt, biegt ab, kommt der Depp daher …«
     
    »Du musst ja die Nebenkosten auch noch dazurechnen, da kommt noch ganz schön was dazu, Wasser, Strom, Gas …«
     
    »Gas hat er gar nicht so viel gegeben, hat er gesagt. Auf jeden Fall hat er mehrere Brüche, einen Schock, und der Wagen ist total hin …«
     
    »Ja, meine Schwester hat ihren Wagen jetzt auch verkauft …«
     
    »Siehst du, mit dir kann man sich wenigstens noch richtig unterhalten, du verstehst das …«
     
    »Und dabei hat sie nicht einmal einen Aufzug und wohnt im vierten Stock …«
     
    Zufrieden über das gut verlaufene Gespräch stoßen die beiden an. Puschkin öffnet sein Buch, zieht den darin enthaltenen Stift heraus und notiert sorgfältig, aber für mich nicht lesbar, zwei bis drei Wörter. Ohne seine Position zu verändern, spricht er: »Placebo, was macht eigentlich unser Achter?«
     
    Ach, der Achter. Den hätte ich fast vergessen, den gab’s ja auch noch. Ich weiß gar nicht, ob der wirklich zu uns gehört hat. Der stand immer ganz weit hinten und hat uns nur beobachtet, sehr merkwürdig. Ab und zu, wenn man ihn ansah, sagte er den Satz: »I bin fei a multiple Persönlichkeit!«
     
    Ich dachte mir schon, was für ein seltsamer Mensch. Doch dann erfuhr ich, dass er der festen Überzeugung war, in sich selbst sechs Menschen zu vereinen. Vier berühmte Persönlichkeiten und zwei völlig Unbekannte aus dem Volk. Früher, so wurde mir erzählt, war er erst ein Dreier, dann hat er auf einen Sechser aufgestockt. Deshalb nannte ihn Puschkin in weiser Voraussicht schon einmal Achter.

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