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Altwerden ist nichts für Feiglinge - Fuchsberger, J: Altwerden ist nichts für Feiglinge

Titel: Altwerden ist nichts für Feiglinge - Fuchsberger, J: Altwerden ist nichts für Feiglinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Fuchsberger
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kreisrunden, eiskalten Turmzimmer und schaute interessiert zu, was da zwischen zwei Schauspielern geschah.
    Nach der ersten Aufnahme kam das Skriptgirl langsam auf uns zu. Wir verharrten immer noch wortlos in der Stellung, in der die Szene geendet hatte. Tristan lag in den Armen von König Marke, dessen Tränen auf die Stirn seines toten Neffen fielen. »Was fällt euch eigentlich ein?«, sagte sie leise, »uns alle hier zum Flennen zu bringen? Wir haben schon Gänsehaut genug!«
    Diese Szene und die nachfolgende Arbeit an »Tristan
und Isolde« begründete eine Art Seelenverwandtschaft, die bis heute hält. Mit Einverständnis meines Sohnes Thomas gehört Ralf Bauer zu den vier jüngeren Männern, die ich »Vizesöhne« nenne. Unsere Seelen scheinen gleich gestimmt zu sein. Da gibt es keinen trennenden Altersunterschied, da ist gegenseitige Akzeptanz, Respekt und Vertrauen. Die anderen drei sind Professor Dr. Wolfgang Reitzle, Produktionschef Wolfgang Ruch vom SWR und der Oktoberfestwirt Peter Pongratz.
    Als nun »Der Priestermacher« ins Haus stand und damit die Frage: Wer spielt den jungen Seminaristen?, war für mich ganz klar: Ralf Bauer soll es sein! Er wurde es.
    Verlag, Theateragentur, Regisseur, die beiden Darsteller, alle waren vom Erfolg überzeugt. Wir wollten das Stück so schnell wie möglich auf die Bühne bringen. Das einzige Hindernis dabei war ich. Auf einmal hatte ich Schiss. Je mehr ich mich mit dem Thema des Stückes um den Glauben an Gott, dem Zweifel vieler Menschen an der Macht und den Mächtigen der Kirche befasste, desto stärker empfand ich die Verantwortung gegenüber denen, deren Gefühle ich mit dem, was ich da dachte und schrieb, verletzen könnte.
    Alle drängten auf eine Premiere im Frühjahr 2001.
Diese sollte in einer katholischen Kirche in Siegen stattfinden. Eine verlockende Idee. Sie hatte nur einen Haken: Seit Jahren lebte und arbeitete ich mit Frau und Sohn von Oktober bis März in Australien. Wann also sollten die Proben für »Der Priestermacher« beginnen? Ich bin sicher, alle dachten, ich sei übergeschnappt, als ich vorschlug: Wir proben in unserem Haus am Nutgrove Beach in Hobart, der Hauptstadt der Insel Tasmanien, immerhin am untersten Ende des Kontinents, im südlichen Pazifik, am Rand der Antarktis. Margrit Kempff, Theateragentin und Produzentin, willigte tatsächlich ein und entsandte Regisseur, Assistent und Ralf Bauer auf die Insel am anderen Ende der Welt.
     
    Die Buschtrommeln arbeiten schnell auf Tasmanien.
    »Der Deutsche am Nutgrove Beach macht im alten Bootshaus Theater!«
    Premier Jim Bacon, Ministerpräsident des kleinsten Bundesstaates von Australien, und seine Frau Honey, die First Lady also, sagten sich zu einer Probe an. Welche Ehre!
    Wir suchten eine Szene aus, bei der die Sprache nicht so wichtig war. Mehr Gefühl, Gewissenskampf, Seelenqual.

    Das war sicher die Szene, in der der alte Priester dem jungen, rebellischen Seminaristen klarmacht, dass er aufhören muss, um jeden Preis die Wahrheit zu sagen.
    »Wenn Sie Priester werden wollen - lügen Sie...!«
    Sicher einer der provokantesten Sätze im ganzen Stück, aber weniger wichtig vor Premier und First Lady, die beiden würden ja kein Wort verstehen.
    Während der Probe vor den hohen Gästen gaben wir natürlich darstellerisch Vollgas. Wir spielten die Szene zu Ende. Honey Bacon schluchzte.
    »Was ist los, Honey, warum weinst du? Hast du überhaupt was verstanden?«
    »Not a word - but both of you sounded so sad!« Kein Wort - aber ihr beide habt euch so traurig angehört.
    Wenn es ohne verständlichen Text funktionierte, müsste es vor deutschsprachigen Zuschauern ein Erfolg werden. Es wurde einer.
    Die Premiere in der evangelischen Kirche in Siegen war ein Erlebnis der besonderen Art. Nachdem die katholische Kirche unsere Bitte, dort die europäische Erstaufführung spielen zu dürfen, abgelehnt hatte, sprang der evangelische Pfarrer in die Bresche und bot sein Gotteshaus an. Nach der umjubelten Vorstellung strahlte er übers ganze Gesicht. Sein katholischer
Kollege kam zur Premierenfeier, er schien mir ziemlich angesäuert, dass ihm und seiner Gemeinde dieses Ereignis entgangen war.
     
    Siegen war der Beginn einer anstrengenden Tournee. Ein Siegeszug durch die Bundesrepublik. In siebzig Städten schenkten uns die Zuschauer »Standing Ovations«. Vor den Theatern drängten sich oft Hunderte weiblicher Teenager. Meist Fans von Ralf Bauer, ein paar von ihnen behaupteten wenigstens, sie hätten

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