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Altwerden ist nichts für Feiglinge - Fuchsberger, J: Altwerden ist nichts für Feiglinge

Titel: Altwerden ist nichts für Feiglinge - Fuchsberger, J: Altwerden ist nichts für Feiglinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Fuchsberger
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den hohen Bäumen der Allee, in deren Mitte die Linie 8 der städtischen Straßenbahn fuhr.
    Der Vater wehrte sich nicht mehr, gab auf, fiel einfach um und begann den Schlaf, aus dem man nicht mehr erwacht. Er wurde neunundsechzig. Vierzehn Jahre habe ich ihn überlebt, bis jetzt, und je älter ich werde, desto öfter denke ich an ihn und nehme mir vor, nicht aufzugeben. Wenigstens nicht, solang mein Kopf arbeitet, nicht solang meine Sinne halbwegs funktionieren.
    Die Zipperlein, die deinen strapazierten Körper so nach und nach beschleichen, werden bewusst und ärgerlich. Zwei Möglichkeiten hast du: permanent in der Gegend herumzujammern und damit ziemlich bald deiner Umgebung auf die Nerven zu gehen. Besser, du fängst endlich damit an aufzuhören! Mit was? Tu bloß nicht so, als ob du das nicht genau wüsstest. Mit den vielen Unarten, bei denen du schon lang vergessen hast, dass sie welche sind.
    »Meine Waage funktioniert nicht mehr«, stellst du eines Morgens nach der Dusche fest.
    »Die Waage ist kaputt!« Nein, mein Freund, du bist zu fett!
    Gleichzeitig mit dieser nüchternen Feststellung beginnt die Erkenntnis, dass der schleichende Verfall
deines bis dato ganz manierlichen Körpers begonnen hat - spürbar, und dass er vor allem unaufhaltsam sein wird.
    Keine Angst, ich falle dir jetzt keinesfalls mit irgendwelchen dubiosen Diätvorschlägen auf den Wecker, nein, aber irgendwann musst du halt einsehen: Die Zeit der zufriedenstellenden Konfrontation mit dem Spiegel ist vorbei, der Prozess des Altwerdens beginnt. Ab jetzt wird das Problem zur Charakterfrage.
    »Man ist halt nicht mehr der Jüngste...« ist ein alter Spruch und taugt kaum als Trost. Sprüche helfen jetzt nicht mehr, jetzt müssen Taten her.
    Die Epoche »Midlife Crisis«, zu deutsch »Zweiter Frühling«, verändert deine bisherigen Lebenserfahrungen unter Umständen bis ins Gegenteil. Kammgarn Pepita-Sakko, graue Flanellhose, hellblaues Hemd, zart gestreifte Krawatte und handgenähte Wildlederschuhe sind schlagartig »out«. Über Nacht beseelt dich der unstillbare Wunsch nach schwarzem Leder als Jacke, oder noch besser als Motorradanzug mit möglichst vielen Reißverschlüssen, stahlverstärkte, wasserdichte Stiefel für enge Kurven bei dichtem Regen. Das Ganze kann natürlich auch rot getragen werden, Hauptsache auf die Haut geschneidert. Geil! Zu diesem Outfit gehört dann noch ein hochmotorisiertes, bayerisches oder auch japanisches Zweirad
mit notwendigem und gar nicht so leicht zu erlangendem Führerschein der Klasse I.
    Mit diesen nicht ganz ungefährlichen Anschaffungen sind die ersten Maßnahmen gegen das Altwerden eingeleitet.
    »Ach du lieber Gott, muss denn das sein?«, war die kritische Reaktion meiner Regierung. Diese plötzliche Verjüngungskur, im Alter von doch schon stattlichen fünfundvierzig Jahren, schien ihr irgendwie suspekt. Mutmaßungen von nicht selten damit verbundenen, anderen Sehnsüchten von Ehemännern in diesem Alter hat sie zwar nie geäußert, aber welcher Ehemann kennt die geheimsten Gedanken seiner Frau schon so genau?
    »Und wozu ist der da?«
    Mit dieser Frage, die in unmissverständlicher Absicht und unüberhörbarer Aufforderung für eine klare Antwort gestellt wurde, deutete sie auf den nach hinten verlängerten Sitz der 750er BMW.
    »Der Soziussitz, für den Zweiten!«
    »Du wirst doch nicht im Ernst glauben, dass ich mich je da drauf setze!«
    »Ich befürchte es.«
    »Also wer dann?«
    »Zum Beispiel Tommy!«
    Sohn Thomas Michael, damals fünfzehn Jahre alt,
hatte in der Beschaffungszeit von Ledermontur, Helm und Kraftrad erkennen lassen, dass er alles ziemlich cool fand, und meinte, so eine schwarze Kluft stünde ihm vermutlich auch ganz gut. Das tat sie wirklich! Er war gertenschlank (was er übrigens heute mit zweiundfünfzig auch noch ist), trug schulterlanges Haar, das unter dem gewaltigen weißen Helm hervorhing. In seiner schwarzen hautengen Lederkombination bot er Betrachtern von hinten ein wirklich attraktives Bild. Rücken, Taille und Hintern waren wohlgeformt und ließen nicht erkennen, um welches Geschlecht es sich handelte, das da auf dem Soziussattel saß.
    Dergestalt unternahmen wir Ausflüge in die nähere und weitere Umgebung. Schnell gab es Leute, die sich die Köpfe darüber zerbrachen, mit welcher jungen, langhaarigen Unbekannten der bis jetzt so skandalfrei verheiratete Fuchsberger seine Freizeit auf dem Zweirad und vielleicht auch sonst wo teilte.
    Auch andere, viel

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