Alvion - Vorzeichen (German Edition)
schließlich gab es schlimmere Gedanken, die man vor einer Schlacht haben konnte. Dann aber verließ ich ebenfalls das Zelt und begab mich zu den Zelten meiner Abteilung. Die folgenden Stunden verbrachte ich damit, mit meinen Soldaten, die in Gruppen zusammensaßen, zu sprechen, unsere Befehle zu erläutern und Ähnliches. Ich ermahnte sie, möglichst bald zu schlafen und nicht zu viel zu trinken, denn ich wollte morgen keinen verkaterten Haufen ins Gefecht führen. Obwohl ich erst seit vier knapp fünf Tagen ihr Befehlshaber war, befolgten sie meine Anweisungen ohne Widerspruch, wenn auch da und dort leises Murren zu hören war. Noch bevor der Mond seinen höchsten Stand erreichte, hatten sich die meisten tatsächlich zur Ruhe begeben, nachdem sie vorher zu den Göttern gebetet hatten. Trotzdem die Religion nur noch einen sehr geringen Raum im Leben eines Soliers einnahm, verschob sich die Perspektive im Angesicht des möglichen Todes immer sehr schnell. Auf meinen Reisen waren mir des Öfteren Kerle begegnet, die mit einem Schwert im Bauch auf einmal weinend den Beistand ihres Gottes erflehten, obwohl bei den meisten in meinen Augen Nisistrus, der Herr der Finsternis, der passendere Ansprechpartner gewesen wäre. Schließlich setzte ich mich an ein verwaistes Feuer, legte noch einmal zwei Scheite Holz nach und trank zwei Becher Wein, während ich in die Flammen starrte. Die Ankunft der Magierin bedeutete, dass eine Schwelle überschritten war, die Jahrtausende Bestand gehabt hatte. Nahezu seit dem Beginn der Zeitrechnung existierte der Orden vom Seelenwald und hatte es sich zur Aufgabe gemacht, mit der Gabe Gesegnete auf den richtigen Weg zu führen und ihnen dabei zu helfen, ihre Kräfte zu erforschen und sinnvoll einzusetzen. Kriege zu führen war ihnen verboten, dies war ihr allerhöchstes Gebot, niedergeschrieben im mystischen Codex des Ordens, den noch nie ein gewöhnlicher Sterblicher zu sehen bekommen hatte. Bereits die mündliche Überlieferung aus dem lynischen Zeitalter kannte Orden oder ähnliche Verbindungen von Magiern, denn die Lynen waren Meister der Magie gewesen, deren Fähigkeiten sich heute niemand mehr auch nur vorzustellen vermochte. Mitunter war dies einer der Gründe, der schließlich zu ihrem Niedergang beigetragen hatte. Nachdem die alten Meister verschwunden waren, oblag es einem Mann namens ’Thanis’, alle Magier Septrions zu versammeln und gemeinsam mit ihnen den Orden vom Seelenwald ins Leben zu rufen. Jener Thanis wurde der erste Hüter des Ordens und blieb es bis zu seinem Tod, dann erwählten die Magier einen Nachfolger aus ihren Reihen. Schon zu Beginn legte der Orden jenen, bis in die heutige Zeit gültigen Codex fest und begründete sein Archiv, das irgendwo in den Tiefen des Seelenwalds verborgen ist.
Nur wenige trugen jene schlummernde, magische Begabung in sich, so dass der Orden nie besonders zahlreich war, weil die Lebensspanne eines Magiers meist nur zur Ausbildung eines einzigen Schülers ausreichte, der ihn auf all seinen Wegen begleitete und den Namen seines Meisters als Beinamen führte. Wenngleich sie auch überall in Septrion hoch geachtet waren, bevorzugten sie doch Ruhe und Abgeschiedenheit und nahmen am öffentlichen Leben so gut wie niemals teil. Der Codex, an den jeder Magier mit einem Schwur gebunden war, verpflichtete sie zur Wahrung ihrer Geheimnisse, zum lebenslangen Studium der Magie und diese niemals in den Dienst des Krieges zu stellen oder in ihre finsteren Bereiche vorzustoßen. Doch irgendwann war es zu einer Spaltung gekommen und ein zweiter Orden war entstanden, benannt nach dem Fransee in Meridia, dem Ort seiner Gründung. Zum großen Teil hatte auch jener zweite Orden den alten Codex übernommen, meines Wissens nach hatte sich ihr Streit über die dunklen Bereiche der Magie entzündet. Doch jetzt griffen auf einmal beide Orden in den Krieg ein, der Orden von Fran hatte damit angefangen und damit dem Orden vom Seelenwald die gleiche Handlungsweise aufgezwungen.
Der Mond hatte seinen höchsten Stand erreicht, als ich aufstand und ihn lange anstarrte. Ein beklemmendes Gefühl kroch in mir herauf, denn schon morgen konnte mich mein Schicksal ereilen und auf ein Schiff nach Chiora setzen. Dennoch schlief ich sofort ein, als ich mich hingelegt hatte, weil der kräftige Wein seine Wirkung tat. Und, anders als gewöhnlich, blieb mein Schlaf in dieser Nacht traumlos.
K apitel 9
Ein weiteres Mal versuchte Salina ihren alten Lehrmeister Zelio zu
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