Alvion - Vorzeichen (German Edition)

lautlos waren und nachts wesentlich besser sahen, als Menschen oder Argion oder Tepile. Ein paar hundert von ihnen, die man auf die Hügel schickte und unsere Wachen angreifen ließ, ehe sie sich auf das schlafende Lager stürzten, und die Sache hätte sich erledigt gehabt. Im folgenden Chaos wäre an eine Verteidigung der Senke nicht einmal mehr zu denken gewesen, also warum war das nicht geschehen? Die Antwort, die ich fand, gefiel mir nicht sehr: Es war gar nicht nötig und wir waren nicht einmal diese Mühe wert! Es ging darum, uns eine kleine Hoffnung zu lassen und diese dann zu zertreten wie einen Käfer. Demütigen und entmutigen und ein paar entkommen lassen, damit sich diese Nachricht möglichst schnell verbreitete. Oder waren sie vielleicht wirklich noch zu schwach?
    Ich ging in Richtung unseres Vorratszeltes und holte mir dort ein Stück Brot, etwas Wurst und füllte meine Feldflasche auf. Dann durchquerte ich das Lager wieder und stieg die Anhöhe hinauf zu der Stelle oberhalb der Senke, wo meine Soldaten bald Stellung beziehen würden. Im Moment standen nur die zur Wache eingeteilten Soldaten dort und blickten hinunter in die Ebene, wo auch die Armee Meridias gerade zum Leben erwachte. Bald würde es soweit sein! Noch lagen Schwaden von Bodennebel über dem Gras in der Ebene und Tau schimmerte an den sichtbaren Stellen im frühen Tageslicht, doch die kräftigen Strahlen der Sonne würden dies in kurzer Zeit wie einen flüchtigen Zauber beseitigen. Kleine Rauchsäulen stiegen in die windstille Luft empor, ehe sie sich in einer gewissen Höhe verflüchtigten. Keine einzige Wolke stand am Himmel, dessen dunkles Nachtblau im Osten bereits dem leuchtenden Blau des Tages gewichen war. Unten, im Lager der Feinde, ging es bereits ziemlich geschäftig, allerdings nicht hektisch zu, sodass auch der letzte Zweifel über einen Angriff am heutigen Tage schwand. Sie waren stark genug, wozu sollten sie noch warten?
    Für eine Besprechung gab es auf unserer Seite keinen Anlass mehr, alle Abteilungen wussten, was sie zu tun hatten. Ich drehte mich um und beobachtete nun das geschäftige Treiben in unserem Lager, das mir im Vergleich zu dem in der Ebene, fast winzig erschien. Der Feind hatte mittlerweile eine mindestens dreifache Überlegenheit und das, wo es sich dabei nur um Vorausabteilungen handeln konnte! Ich blickte suchend in die Ebenen die sich hinter unserem Lager erstreckten, fast hoffend, dort Anzeichen einer sich nähernden Armee zu entdecken, die uns verstärken würde. Doch das war natürlich reines Wunschdenken. Wir selbst waren von Bilonia aus hierher geeilt und hatten zudem die Stadt von allen Truppen entblößt, wenn man einmal von den Rekruten absah, die in den Kampf zu führen schlicht Wahnsinn gewesen wäre. Außerdem war Bilonia die mit Abstand am nächsten liegende Garnisonsstadt. Wenn wir Glück hatten, war mittlerweile zumindest in Perlia bekannt geworden, was sich hier im Süden des Landes anbahnte, doch selbst bei größter Hast würde es noch Wochen dauern, ehe wir Verstärkung erwarten konnten. So lange mussten wir hier alleine aushalten. Ich lachte in mich hinein und nannte uns allesamt Narren. Der gesunde Verstand gebot, sich augenblicklich davon zu machen und wir wollten hier stehen und Wochen aushalten. Genauso gut hätten wir versuchen können, an einem Strand der Flut Einhalt zu gebieten! Es war närrisch, es war wahnsinnig, es war vollkommen widersinnig, aber es war unsere Pflicht, es zumindest zu versuchen.
    Mein Blick fiel schließlich auf eine Gestalt, die die Anhöhe emporstieg und mich so aus meinen Gedanken riss. Es war Syur, der Einzige, der gestern in der Besprechung noch etwas gesagt hatte, dann aber ebenso feige geschwiegen hatte, wie die anderen, doch es machte jetzt keinen Sinn mehr, mit ihm deswegen Streit anzufangen. Seine Abteilung würde neben meiner liegen und damit war ich ebenso auf ihn und seine Männer angewiesen, wie er auf mich. Schließlich war er bei mir angelangt, an dem Punkt, wo der Hügelkamm in die Senke abfiel.
    „ Guten Morgen, Alvion!“ begrüßte er mich, als er neben mir stand. „Glaubt Ihr, sie kommen?“
    „ Guten Morgen“, erwiderte ich höflich. „Ja, sie werden die Entscheidung herbeiführen wollen, bevor die Mittagshitze einsetzt, und ich glaube, selbst die erste Abteilung, die ganz im Norden steht, wird vor dem Mittag bereits kämpfen müssen!“
    „ Hört, Alvion, wegen gestern Abend“, begann er, doch ich fiel ihm sogleich ins