Am Abend des Mordes - Roman
gnadenhalber eingeschoben zwischen Winter und Sommer. Dem langen, langen Winter und dem wehmütig kurzen Sommer.
Das Licht ist allerdings schon auf diesen Sommer eingestellt, längst sind die Nächte schimmernd und weiß, bis zum Wendepunkt sind es nur noch vierzehn Tage. Sie hat gelernt, ohne Rollo zu schlafen, Mona hatte ihr gesagt, es sei nur eine Frage der Übung. Vor ein paar Jahren meinte sie das, aber es hat gedauert, sich daran zu gewöhnen. Nach der langen Dunkelheit tut man auf unseren hohen Breitengraden gut daran, jeden Streifen Licht auszunutzen, meint Mona. Es ist Teil der Bedingungen, der ungeschriebenen Übereinkunft mit der Natur. Der Körper muss bekommen, was er braucht, das Licht in sich speichern, um die nächste lange Dunkelheit durchzuhalten. Rollos? Jalousien? Unsinn.
Trotzdem gibt es sie natürlich in jedem Zimmer und vor jedem Fenster, immerhin muss man die Wünsche der Gäste berücksichtigen. Aber Ellen ist kein Gast. Sie hat nachgezählt und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass es ihr dreizehnter Aufenthalt hier oben ist. In Zeit gemessen hat sie weit mehr als ein Jahr in der Pension verbracht. Manchmal schauen auch andere Schwestern für ein paar Tage, eine Woche oder zwei vorbei, aber sie ist mit Abstand die treueste Besucherin. Zwischen ihr und Mona gibt es eine Verbindung, die Jahr für Jahr stärker wird. Mit jedem neuen Besuch, jedem neuen Gespräch, sie hat sogar versucht, Mona nach Kymlinge hinunterzulocken, aber da verläuft die Grenze.
Die Jahre in Hinseberg haben mir gereicht, sagt Mona. Meine Jahre im Süden, so pflegt sie die Zeit im Gefängnis zu nennen. Sie wird ihre Tage hier oben beschließen, wo sie zu Hause ist, und da sie nicht weiß, an welchem Tag sie sterben wird, hat sie nicht vor, jemals wegzufahren. So einfach ist das.
Aber Licht speichern ? Ellen gefallen Formulierung und Gedanke. Die Worte decken mehr ab, als Mona vermutlich gemeint hat, denn man speichert so gerne Dunkelheit, ob man will oder nicht, und es erfordert einen Kraftakt, dem ein Ende zu setzen. Um stattdessen zu bewahren, was es wert ist, bewahrt zu werden.
Ellen sieht auf die Uhr. Es ist fast zehn, sie beschleunigt ihre Schritte über das Moor. Zwischen elf und zwei müssen drei Zimmer geputzt werden, außerdem wäre es sicher nicht verkehrt, wenn sie noch ein Brot essen könnte, ehe es Zeit wurde, den Inspektor zu treffen.
Auf dem Rückweg denkt sie an Göran Helgesson. Das passiert manchmal, vor allem in letzter Zeit, seit sie weiß, dass er nicht mehr lebt. Er starb letzten Winter, tief unten in Spanien, und es stand nicht besonders gut um ihn. Versoffen, einsam und erbärmlich, wenn ihre Informationen stimmten, offenkundig alles andere als der Kraftprotz, der er einmal war.
Oder zu sein vorgab. Oder wie in einer Theatervorstellung vorspielte. Der Großbauer auf Groß-Burma, oh ja, in diesen Jahren wurde sich in vielerlei Hinsicht verstellt. Obwohl Vorstellung und Verstellung natürlich zwei verschiedene Dinge waren.
Drei Tage nachdem Harry fort ist, kommt er am Dienstagabend zu ihr, Billy und sie essen gerade zu Abend, auch das ein Bild, an das sie sich bis ins kleinste Detail erinnert. Bockwurst und Kartoffelpüree. Frischer Schnittlauch und einige Butterflocken im Püree. Mit den Butterflocken nimmt Billy es sehr genau.
Wo ist Harry?, will er wissen, und es kommt ihr vor, als könnte er ihr diese Frage stellen, weil der Junge auch in der Küche ist. Ich habe ihn gar nicht gesehen?
Ja, es ist tatsächlich so, als würde er sich an Billy wenden. Obwohl er weiß, dass der Junge nicht spricht.
Oder vielleicht gerade deshalb. Ja, so ist es natürlich. Er weiß, dass er keine Antwort bekommen wird, deshalb kann er die Frage stellen. Es ist ein Spiel.
Also antwortet sie auch nicht. Fragt stattdessen, ob er einen Kaffee haben möchte, den er jedoch dankend ablehnt. In seinen Augen liegt eine andere unausgesprochene Frage, und sie weiß, dass er zurückkommen wird. Vielleicht schon am Abend, die Luft ist ja rein. Die Luft ist für immer rein, aber das weiß Göran Helgesson sicher nicht. Oder doch?
Tut er das?
Bevor er geht, streicht er Billy übers Haar, und der Junge erstarrt, denn eine solche Berührung hat es bis dahin nie gegeben, aber eine gewisse Freundlichkeit ist ohnehin ganz typisch für Göran. Der Wille, es einem recht zu machen oder so, ist unübersehbar. Da ist nicht nur diese Freundlichkeit, sondern auch eine neue Art von Sanftheit, die sie zugleich erstaunt und nicht
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