Am Abend des Mordes - Roman
vorstellbar, dass sie heute noch derselbe Mensch ist wie damals. Schwierig, die Zeit an sich zu verstehen.
In ein paar Stunden kommt dieser Mann von der Kripo. Wozu soll das verdammt noch mal gut sein? Was will er?
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B arbarotti sitzt auf der Rückbank, aber ausgesucht hat er sich das nicht.
Auf dem Beifahrersitz liegt ein zottiger Hund. Er riecht ein bisschen streng und scheint sehr alt und müde zu sein. Vielleicht hat Henning ihn dort platziert, um keine Konversation machen zu müssen.
Viel mehr sagt er jedenfalls nicht. Abgesehen davon, dass er Henning heißt. Und weil auch Barbarotti keine Lust verspürt zu erklären, was ihn zu Ragnhilds Gebirgspension führt, wird nicht viel gesprochen.
Obwohl die Fahrt fast zwei Stunden dauert. Damit hat er nicht gerechnet, da er davon ausgegangen ist, dass die Pension am Rande der Ortschaft liegt, aber das stimmt natürlich nicht. Die Gebirgswelt beginnt nicht vor der Haustür. Sie sausen durch die weite nordschwedische Landschaft, und am eigentlichen Ort Vilhelmina, einer vagen Ahnung von Zivilisation, sind sie vor ein paar Minuten nur kurz vorbeigehuscht.
Seine Gedanken sind unbändig und wirr, aber er will sie trotzdem nicht fallen lassen, denn ohne Gedanken lauert ihm wieder das Gefühl auf, einsam und verlassen zu sein. Bedrohlich nahe ist es; insbesondere in einer solchen Situation, in dieser atemberaubenden Umgebung, in der es ihm vorkommt, als würde er alles hinter sich lassen. Kilometer auf Kilometer ohne Wiederkehr. Keine Frau, die man anrufen könnte, kein Mensch, mit dem man sprechen könnte, generell kein vernünftiges Ziel … nein, es hat keinen Sinn, solche Bestien von der Leine zu lassen.
Also denkt er über Axel Wallman nach. Über Billy Helgesson. Über Inger Berglund und Lisbeth Mattson und die Menschen, denen er nie begegnet ist, die aber vor fünfundzwanzig Jahren zwei Höfe vor den Toren Kymlinges bevölkerten. Einen dieser Menschen wird er allerdings bald treffen. Genauer gesagt die eigentliche Hauptperson, die Frau, die als die berühmt-berüchtigte Schlächterin von Klein-Burma in die Geschichte eingegangen ist. Sie und niemand sonst, die anderen scheinen in alle Winde zerstreut zu sein; unglücklich, tot, unverstanden oder was auch immer. Wie alle anderen Menschen vielleicht auch?
Außerdem versucht er, über Arnold Morinder und die Frage nachzudenken, was es bedeuten mag, dass er und Ellen vor langer Zeit Klassenkameraden gewesen sind, aber die Konturen des verschwundenen Elektrikers sind so vage, dass die Gedanken an ihm abrutschen. Losfahren, um sich eine Zeitung zu kaufen, und dann einfach ein blaues Moped in einem Sumpfgebiet zurücklassen? Was für eine idiotische Aktion ist das denn? Norwegen? War er wirklich auf dem Weg nach Norwegen, konnte an dieser dahingeworfenen Behauptung etwas dran sein?
Aber wenn die Gedanken an Morinder abrutschen, zieht es sie umso stärker zur Schlächterin. Zu der Frau, der er bald begegnen wird. Mit der er sich von Angesicht zu Angesicht zusammensetzen wird, um herauszufinden, wie das alles wirklich zusammenhängt.
Glaubt er tatsächlich, dass es dazu kommen wird? Dass dazu die Chance besteht? Könnten Sie mir bitte kurz erklären, wie das alles zusammenhängt?
Nein, wenn er ehrlich ist, nicht. Wenn er ehrlich ist, glaubt er wohl nur, dass er sich mit ihr zu einem Gespräch treffen wird, um anschließend festhalten zu können, dass er in diesem Fall keinen Schritt weitergekommen ist. In diesen Fällen. Jedoch alles getan hat, was in seiner Macht stand. Die Tatsache, dass er bis Lappland und zurück gereist ist, sollte ja wohl hinlänglich beweisen, dass er wirklich sein Bestes gegeben hat. Das wird Asunander wohl kaum leugnen können.
Oder wird er wirklich etwas finden? Denkbar ist es. Schließlich muss es einen Grund dafür geben, dass Ellen Bjarnebo ihn angelogen hat – oder dafür, dass ihre Freundin dies getan hat, die Frau, die sich seinen Informationen nach einstmals ebenfalls ihres Gatten entledigt hat, um dafür anschließend viele Jahre in Hinseberg zu sitzen? Was sind das eigentlich für Frauen, die ihn hier oben in der Wildnis erwarten?
Und irgendwo hier, in diesem frei fließenden Gedankenstrom, taucht Marianne wieder auf und mischt sich ein. Sie steht da, die Fäuste in die Seiten gestemmt, und ermahnt ihn wie zuvor: aufzupassen. Diesen Auftrag nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Nur weil er sich einbildet, dass Asunander ihm diese Angelegenheit zugeschanzt hat, damit er sich
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