Am Abend des Mordes - Roman
fand es seltsam.
Und was denken Sie jetzt?
Ich finde es noch seltsamer.
Warum haben Sie so lange damit gewartet, uns anzurufen?
Ich weiß nicht. Ich denke, ich habe geglaubt, dass er irgendwohin gefahren ist?
Und zu wem?
Vielleicht zu einem seiner Freunde in der Stadt.
Aber das Auto stand noch an seinem Platz?
Ja, das ist allerdings merkwürdig.
Haben Sie bei seinen Freunden nachgefragt?
Ja. Bei denen ist er nicht.
Während sie diese Fragen und Antworten austauschen, bewegen sie sich gemächlich über den Hof. Sie gehen links und rechts von ihr, der Rothaarige dicht neben ihr, um nichts von dem zu verpassen, was sie sagt. Ihren Erklärungen und Vermutungen.
Schließlich gehen sie ins Haus, bewegen sich langsam durch Zimmer um Zimmer. Der kleine Graue macht oft lange Pausen und scheint nach etwas Ausschau zu halten. Fast zu wittern . Manchmal vergeht fast eine halbe Minute wortlos, aber das findet sie nicht unangenehm, es stört sie nicht. Sie ahnt, dass er damit eine Absicht verfolgt. Er will sie dazu bringen, sein Schweigen bedrückend zu finden und zu plappern. Seinen Assistenten hat er wahrscheinlich angewiesen, still zu sein.
Aber sie plappert nicht. Sie versteht es zu schweigen, das hat sie immer schon gekonnt.
Was hat er mitgenommen?
Verzeihung?
Haben Sie nachgesehen, was fehlt? Sein Portemonnaie zum Beispiel? Eine Tasche?
Ich glaube nicht, dass er eine Tasche mitgenommen hat, aber sein Portemonnaie habe ich seither nicht mehr gesehen, das hat er anscheinend dabei.
Den Pass?
Ich glaube, der ist nicht mehr gültig. Er hat davon gesprochen, dass er ihn verlängern lassen will.
Fahren Sie öfter ins Ausland?
Nein.
Sie findet den Pass in einer Schublade.
Kleider? Jacke?
Sie erklärt, wenn sie recht sehe, fehlten lediglich die Sachen, die er am Samstagabend anhatte. Eine Jeans, ein Hemd, ein dünner Sweater.
Nicht einmal eine Jacke?
Nein, sie glaubt nicht.
Sie gehen die Kleiderschränke durch, und sie bleibt dabei, dass er offenbar nicht einmal seine Jacke mitgenommen hat.
Nun ja, das Wetter ist ja schön und warm, sagt der kleine Graue.
Sie fragt, ob die beiden einen Kaffee haben wollen, aber sie lehnen das Angebot dankend ab.
Und das hier ist Ihr Junge?
Sie begegnen Billy in der Küche. Er sitzt am Tisch und löffelt Vanilleeis mit Erdbeermarmelade, um so den Beginn der Sommerferien zu feiern. Der kleine Graue geht zu ihm, streckt die Hand aus und grüßt. Billy nimmt sie, steht sogar auf. Gibt auch dem rothaarigen Assistenten die Hand. Dienert.
Und du hast jetzt Sommerferien?
Billy nickt.
Aber du vermisst deinen Papa?
Billy nickt noch einmal. Gott sei Dank. Sie denkt an diesen Moment im Schlafzimmer, als sie es besiegelten.
Was denkst denn du, wo er sein könnte?
Billy schüttelt den Kopf.
Sie denkt, es ist gut, dass er nicht spricht. Die Polizisten deuten sein hartnäckiges Schweigen sicher irrtümlich als einen Ausdruck von Sorge. Dass er sich besorgt fragt, was mit seinem Papa passiert sein könnte.
Sie lassen ihn dort am Küchentisch bald wieder in Ruhe. Es gibt keinen Grund, die Sache für den Jungen schlimmer zu machen, als sie schon ist. Der kleine Graue legt sogar kurz seine Hand auf Billys Schulter. Ähnlich wie Görans Kopftätscheln vor ein paar Tagen.
Insgesamt dauert der Besuch nicht viel länger als fünfundzwanzig Minuten oder eine halbe Stunde. Sie stehen auf dem Hof und verabschieden sich. Der kleine Graue sagt, dass sie tun werden, was in ihrer Macht steht, um Harry zu finden. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Menschen verschwinden und wohlbehalten zurückkommen. Vor allem im Sommer nicht.
Hatte er getrunken?, lautet seine letzte Frage. War er betrunken?
Ein bisschen, bekennt sie. Nun ja, nüchtern war er sicher nicht.
Der Assistent notiert auch das.
Dann erklären sie, dass sie noch ein paar Worte mit den Bewohnern von Groß-Burma wechseln werden. Immerhin sind sie die nächsten Nachbarn, vielleicht ist ihnen ja etwas aufgefallen.
Ja, tun Sie das. Man weiß ja nie.
Sie bleibt stehen und sieht sie davonfahren. Billy kommt aus dem Haus und steht auch da. Ungewöhnlich dicht neben ihr, so dass es ihr beinahe so vorkommt, als sollte sie seine Hand nehmen. Als wollte er das.
Aber sie tut es nicht. Sie bleiben nur stehen, bis der schwarze Saab den Hügel hinaufgefahren und hinter der Fliederhecke verschwunden ist.
Und nun sind dreiundzwanzig Jahre vergangen. Sie steht in Zimmer 8 in Ragnhilds Gebirgspension und bezieht das Bett neu. Es ist schwer
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