Am Abend des Mordes - Roman
wahrscheinlich doch zu dritt am Tisch sitzen würden. Sie ging zum Küchenfenster und sah hinaus.
Sie legte die Hand vor den Mund, konnte aber dennoch einen Aufschrei nicht unterdrücken, aber Billy war in seinem Zimmer und hatte die Tür geschlossen, sodass sie keiner hörte.
Es war schlimmer, als sie befürchtet hatte.
Er purzelte aus dem Wagen.
Hatte schräg geparkt, mit einem Vorderreifen im Blumenbeet, und als die Fahrertür aufging, kippte er heraus und landete auf allen vieren. Schüttelte den Kopf und begann, in Richtung Küchentür zu krabbeln, hielt jedoch nach zwei Metern inne und rappelte sich auf.
Schwankte einen Moment, während er sich mit der Hand über das Gesicht fuhr. Wischte sie am Hosenbein ab, woraufhin sie sah, dass er sich übergeben hatte. Auf dem hellblauen Hemd waren wie auf der Hose Flecken von Erbrochenem. Es hätte sich natürlich auch um eine andere Art von Flecken handeln können, aber welche? Sie trat einen Schritt vom Fenster zurück, damit er sie nicht sah, und der Reflex zu fliehen, durchzuckte sie. Einfach alles stehen und liegen zu lassen, sich den Jungen zu schnappen und für immer aus dieser … dieser auslaugenden, sich langsam verdunkelnden und schrumpfenden Hoffnungslosigkeit zu verschwinden, die … die das Leben bildete, das ihr beschieden worden war. Ihr und Billy.
Doch der Impuls erstarb. Sie konnten nirgendwohin. Es gab keine Freunde, die sie aufnehmen würden, keine Familie, zu der sie zurückkehren könnten. Kein Schutznetz und keinen Ausweg. Sie blieb stehen und betrachtete stattdessen ihren Mann.
So kann es nicht weitergehen, dachte sie.
27
G unnar Barbarotti spazierte die gesamte Götgatan bis nach Slussen hinab. Das Gespräch mit Billy Helgesson lag ihm im Magen wie ein schwerer Kloß.
Im Übrigen nicht nur Billy, merkte er, als er versuchte, den Kloß genauer zu studieren, sondern diese ganze Geschichte. Eine Frau, die ihren Mann tötet, weil sie es nicht mehr aushält – und die Konsequenzen auf sich nimmt. Denn war es nicht so? Alles, was er über Harry Helgesson gehört hatte, sprach die gleiche deutliche Sprache. Der Mann war ein Mistkerl und Schinder seiner Familie gewesen; ein Schwein hatte Billy seinen eigenen Vater genannt. Barbarotti erschien der Gedanke nicht abwegig, dass die Stummheit des Jungen mit der Härte des Vaters zusammenhing. Weil er in seiner Kindheit so gehemmt und verängstigt gewesen war, hatte er sich schlichtweg nicht getraut zu sprechen. War das möglich? Hatte Lisbeth Mattson mit ihrer Einschätzung letztlich doch vollkommen recht gehabt? Schwer zu sagen, aber Billy und seine Mutter hatten auf Klein-Burma jedenfalls ein hartes Leben geführt, so musste es gewesen sein. So hart, dass sie eines Tages den einzigen Ausweg gewählt hatte, den sie entdecken konnte: sich des Tyrannen zu entledigen und die Strafe dafür auf sich zu nehmen.
Dass sie ihn darüber hinaus ein bisschen zerlegt und anschließend im Wald versteckt hatte, tja, in diesem Punkt tendierte Barbarotti dazu, Nachsicht walten zu lassen. Zumindest an solch einem sonnigen Tag so viele Jahre später, denn sie hatte immerhin mehr als ein Jahrzehnt in Hinseberg gesessen.
Oder war dies ein völlig falsches Bild? Gab es andere Umstände, die auf etwas anderes hindeuteten und nie ans Licht gekommen waren? Jedenfalls schien sie zu allem Überfluss auch noch ihren Jungen verloren zu haben. War es nicht so? War der Kontakt zwischen Ellen Bjarnebo und ihrem Sohn nicht praktisch abgebrochen, als sie ins Gefängnis musste? Onkel und Tante hatten Billy kurzerhand unter ihre Fittiche genommen. Er hatte sein Zuhause verlassen und war bei dem kinderlosen Ehepaar in Hallsberg gelandet. Wo man offenkundig wenig davon hielt, dass Mutter und Kind sich begegneten. Ein einziger Besuch in Begleitung eines Schulpsychologen. Ein Gegenbesuch. In elf Jahren.
Aber vielleicht konnte man sie auch verstehen, überlegte Barbarotti. Zumindest mit etwas Distanz und wenn man eine ganz bestimmte Brille aufsetzte: Billys Vater war ermordet worden, Billys Mutter eine Mörderin. Kein sonderlich nettes Gepäck, das man da an einen neuen Ort mitschleppte. Vor allem dann nicht, wenn man stumm, bescheiden begabt und allgemein gehemmt war.
Aber hätte dies nicht besser bewältigt werden können? Mit etwas mehr Rücksicht? Zu dem Schluss konnte man im Nachhinein jedenfalls kommen. Wo war während dieser ganzen Zeit eigentlich das Jugendamt gewesen?
Oder war es trotz allem besser so gewesen? War die
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