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Am Anfang eines neuen Tages

Am Anfang eines neuen Tages

Titel: Am Anfang eines neuen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Austin
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Gruppe und bat mit erhobenen Händen um Gehör. Ein Schauer der Angst durchfuhr Lizzie. Er sollte nicht der Anführer von allen sein, das würde ihn nur in Schwierigkeiten bringen. Sie eilte zu ihm und flüsterte: „Ich dachte, du willst nicht predigen.“
    „Das tue ich auch nicht. Ich mache nur beim ersten Mal den Anfang. Du kannst mir einen Platz frei halten. Ich komme gleich.“
    Lizzie ging zurück und setzte sich in das von der Sonne erwärmte Gras. Jack kletterte auf ihren Schoß und sie legte einen Arm um Rufus, der sich an sie lehnte. Roselle saß mit ihren Freundinnen vor ihr.
    „Ich habe Mr Chandler gebeten, uns etwas aus der Bibel vorzulesen“, sagte Otis, als die Leute endlich verstummten. „Etwas, das mein Papa immer zitiert hat. Dann können wir der Reihe nach beten und mit Gott sprechen.“
    Mr Chandler blätterte noch in seiner Bibel, als er neben Otis trat. Die Seiten des Buches waren so dünn wie Zwiebelhäute und raschelten im Wind. „Ich glaube, ich habe die Verse gefunden, die Otis meint“, fing er an. „Es sind eigentlich zwei Abschnitte. Einer ist aus Psalm 126 und der andere aus dem Galaterbrief.“ Er räusperte sich und fing an, mit seinem merkwürdigen Yankeeakzent so laut zu lesen, dass alle ihn hören konnten: „‚Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumenden. Dann wird unser Mund voll Lachens und unsre Zunge voll Rühmens sein. Dann wird man sagen unter den Heiden: Der Herr hat Großes an ihnen getan!‘“
    Jemand in der Menge rief: „Amen!“ und Mr Chandler blickte lächelnd auf.
    „‚Der Herr hat Großes an uns getan; des sind wir fröhlich‘“, fuhr er fort. „‚Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten. Sie gehen hin und weinen und streuen ihren Samen und kommen mit Freuden und bringen ihre Garben.‘“
    „Danke, Herr!“, rief jemand anders. Die Seiten der Bibel raschelten wieder, als Mr Chandler blätterte und die zweite Stelle suchte.
    „‚Denn was der Mensch sät, das wird er ernten. Wer auf sein Fleisch sät, der wird von dem Fleisch das Verderben ernten; wer aber auf den Geist sät, der wird von dem Geist das ewige Leben ernten. Lasst uns aber Gutes tun und nicht müde werden; denn zu seiner Zeit werden wir auch ernten, wenn wir nicht nachlassen.‘“
    „Das sind genau die Abschnitte, die ich wollte“, sagte Otis. „Danke, Sir.“ Er holte tief Luft und fing an, mit derselben ruhigen Stimme, mit der er Gutenachtgeschichten vorlas oder betete, zu der Menge zu sprechen. „Alle hier wissen, wenn man Baumwollsamen in die Erde steckt, bekommt man Baumwolle. Wenn man Mais aussät, wächst eine Maispflanze. Und wie es in dem Vers gerade hieß, wenn man jahrelang Hass sät, erntet man irgendwann einen Krieg, so wie den, der gerade zu Ende gegangen ist.
    Ich weiß, dass es so aussieht, als wäre das Einzige, was wir Sklaven jemals ernten werden, schwere Arbeit und Schmerzen und Leid. Aber wenn wir sie Gott überlassen, kann er unter der Erde ein Wunder vollbringen. Wir sehen es jeden Tag. Man nimmt ein kleines Samenkorn und bekommt eine große grüne Pflanze mit Blüten und Blättern und Baumwolle. Das können wir nicht selbst machen. Wir müssen dem Allmächtigen vertrauen. Aber heute können wir all unser Leid nehmen und zu Gott bringen und wisst ihr, was wir ernten werden, wenn es so weit ist? Freude!
    Sie können unsere Schule niederbrennen und uns alles andere wegnehmen, aber Jesus können sie uns nicht wegnehmen. Er ist immer bei uns und er hat uns ein besseres Leben irgendwann bei ihm Himmel versprochen. Heute sind wir hier, um zu beten und ihm alle unsere Probleme zu sagen. Aber sät keinen Hass. Gebt die Tränen Jesus und irgendwann werdet ihr Freude ernten.“
    Für Lizzie waren die Worte wie ein warmes Tuch, das sich an einem kalten Tag um ihre Schultern legte. Sie wünschte, sie könnte Jesus so vertrauen, wie Otis es tat, aber sie hatte schon vor langer Zeit verlernt zu vertrauen. Trotzdem würde ihr Gebet heute lauten: Beschütze meine Roselle. Pass auf sie auf. Lass nicht zu, dass ihr etwas Schlimmes geschieht .
    Otis wollte zu ihr kommen und sich neben sie setzen, aber dann kehrte er noch einmal um und sagte: „Oh, und noch etwas: Vergesst nicht, dass Jesus gesagt hat, wir sollen auch für unsere Feinde beten.“
    Für Massa Daniel beten? Oder für Roselles Vater? Das konnte Lizzie nicht. Die Worte würden ihr im Hals stecken bleiben wie ein Mund voll Mehl.
    Alle neigten die Köpfe und

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