Am Anfang eines neuen Tages
fingen an zu beten. Manchmal betete jemand laut, manchmal beteten mehrere gleichzeitig, manchmal fing jemand an, ein Lied zu singen. Und obwohl ihre Klagen zuerst traurig und flehend klangen, endete der Nachmittag genau so, wie Otis es versprochen hatte, nämlich mit Singen und Lachen und Freude. Die meisten Leute hatten etwas zu essen mitgebracht und sie breiteten alles im Gras aus und teilten es bei einem riesigen Picknick mit den anderen.
Mr Chandler war in sein Haus gegangen, um sie in Ruhe Gottesdienst feiern zu lassen, aber spät am Nachmittag kam er wieder heraus und stellte sich auf die kleine Anhöhe, um ihre Aufmerksamkeit zu erlangen. „Bitte gehen Sie noch nicht. Ich habe eine Ankündigung zu machen.“ Er wartete, bis es still wurde. „Wie Sie wissen, ist es meine Aufgabe, mich um die Freigelassenen zu kümmern – das sind Sie alle – und mich für Ihre Interessen einzusetzen und dafür zu sorgen, dass Sie bekommen, was Sie brauchen. Heute muss ich Sie um Vergebung bitten, weil ich meine Sache nicht sehr gut gemacht habe. Vor einer Weile sind einige von Ihnen im Wald Opfer eines gewaltsamen Angriffs geworden und zwei gute Männer sind an Schusswunden gestorben. Ich bin entschlossen, Gerechtigkeit für Sie alle zu erlangen und vor allem für die beiden ermordeten Männer. Aber ich kann es nur mit Ihrer Hilfe tun. Ich habe mit den Behörden in Richmond über die Gewalt gesprochen und sie haben gesagt, ohne Zeugen können sie die Sache nicht rechtlich verfolgen. Deshalb bitte ich jeden, der an jenem Abend dabei war, zu mir zu kommen und mit mir zu sprechen. Erzählen Sie mir alles, woran Sie sich erinnern. Wenn ich alle Ihre Informationen zusammenfügen kann, haben wir eine bessere Chance, die Männer zu finden, die dafür verantwortlich waren, und sie vor Gericht zu bringen.“
„Sie werden nie glauben, dass wir die Wahrheit sagen“, sagte der alte Willy kopfschüttelnd. „Schon gar nicht, wenn unser Wort gegen das von Weißen steht.“
„Ich werde keine Ruhe geben und sogar bis nach Washington gehen, bis Recht gesprochen wird. Das ist meine Aufgabe. Deshalb wurde das Amt für Freigelassene eingerichtet. Bitte kommen Sie und sprechen Sie mit mir, wenn Sie dabei waren.“
„Wirst du ihm sagen, dass es Massa Daniel war?“, flüsterte Lizzie Otis zu. Er antwortete nicht.
„Und noch eins“, fügte Mr Chandler hinzu. „Mir ist klar geworden, dass ich mich von einigen bösen Menschen davon habe abhalten lassen, mich um eines Ihrer wichtigsten Anliegen zu kümmern – die Bildung Ihrer Kinder. Es tut mir leid. Bitte schicken Sie Ihre Kinder morgen in die Schule. Wir werden den Unterricht hier draußen abhalten, wo Sie jetzt sitzen, oder in meinem Büro, wenn es regnet. Ab morgen ist die Schule wieder offiziell geöffnet.“
Rufus hatte neben Lizzie gesessen, aber jetzt sprang er auf, zu aufgeregt, um still zu sitzen. „Hast du das gehört, Mama? Wir haben wieder Schule!“ Jack sprang ebenfalls auf und sie hielten sich an den Händen und führten gleich dort im Gras einen kleinen Tanz auf.
Otis nahm Lizzies Hand und drückte sie. „Siehst du? Gott erhört unsere Gebete schon.“
„Was ist mit Massa Daniel und seinen Freunden?“
„Darüber muss ich erst beten. Es gibt einen Unterschied zwischen Gerechtigkeit und Rache und ich muss mir sicher sein, dass ich es aus den richtigen Gründen tue. Ich weiß, dass Massa Daniels Pferd dort war. Ich weiß nicht, ob er darauf geritten ist. Und ich weiß nicht, ob er derjenige war, der diese Leute erschossen hat.“
„Aber Mr Chandler hat gesagt, alle müssen ihm erzählen, was sie wissen.“
„Mr Chandler versteht nicht, wie die Dinge hier im Süden sind. Wenn wir einen Weißen beschuldigen, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er trotzdem davonkommt – aber wir alle tot sind.“
„Aber das ist nicht gerecht.“
„Das Leben wird nicht gerecht sein, bis wir in den Himmel kommen, Lizzie.“
Am Montagmorgen brachte Lizzie den Weißen das Frühstück in ihr Esszimmer, als Miz Eugenia sich umsah und fragte: „Wo ist Roselle? Sie muss in Miss Marys Zimmer hinaufgehen, wenn wir fertig sind. Es wird Zeit, dass sie lernt, was eine Zofe macht.“
Nein, Ma’am!, hätte Lizzie am liebsten gesagt. Sie muss lesen und schreiben lernen! Sie biss sich auf die Lippe, um die Worte nicht laut auszusprechen, dann antwortete sie ruhig: „Roselle ist nicht hier, Ma’am. Sie ist heute Morgen in die Schule gegangen.“
„Du lügst!“, sagte Massa
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