Am Anfang eines neuen Tages
Mutter früher veranstaltet hatte. Würde es in ihrem Leben jemals wieder Musik und Gelächter geben?
Josephine trat an ein anderes Schlafzimmerfenster und sah, dass Lizzie, eine der Haussklavinnen, aus der Küche geschlurft kam und eine Hacke nahm, um im Gemüsegarten zu arbeiten. Die Sklaven hatten ihn angelegt, bevor sie befreit worden waren, und Lizzie war die Einzige, die sich noch darum kümmerte. Der Tag sah so frisch und verheißungsvoll aus, dass Jo plötzlich das Bedürfnis überwältigte, diesem muffigen, klaustrophobischen Haus zu entfliehen. Sie band sich einen Strohhut um ihren Kopf und eilte nach unten und zur Eingangstür hinaus.
Jo holte tief Luft und seufzte dann. Die Luft roch nach Frühling und Holzrauch aus der Küche. Sie ließ sich Zeit dabei, um das Haus herumzugehen, wobei sie die aus der Form geratenen Büsche und die mit Unkraut überwucherten Blumenbeete bemerkte. Das Grundstück um das Haus herum wirkte völlig vernachlässigt, da die Sklaven, die für die Gartenarbeiten zuständig gewesen waren, gegangen waren. Es hatte seit Tagen nicht mehr geregnet und der Boden unter ihren Füßen war steinhart und staubig.
Als sie bei dem Gemüsegarten ankam, öffnete Josephine das Tor zu dem abgeschlossenen Stück Land und ging hinein. Dann schloss sie die Tür wieder hinter sich. Lizzie schien gleich in Habtachtstellung zu gehen. „Brauchen Sie etwas, Missy Josephine?“
„Nein … das heißt, ja. Ich musste mal aus dem Haus und es sieht wie ein schöner Morgen aus.“
„Ja, Ma’am.“ Lizzie machte sich wieder an ihre Arbeit, mit der Hacke den harten Boden aufzulockern.
„Verlässt du White Oak auch, Lizzie? Wie all die anderen?“
„Nein, Ma’am. Wir haben beschlossen, erst einmal zu bleiben. Aber Gott weiß, dass ich die ganze Arbeit nicht allein schaffe. Und Otis auch nicht.“
Otis. So hieß der Feldsklave, der ihre Kutsche nach Richmond und zurück gefahren hatte. Jo war mit diesen Sklaven aufgewachsen, wusste aber nur sehr wenig über sie. „Otis ist dein Mann?“
„Ja, Ma’am.“
Jo sah ihr einige Minuten lang bei der Arbeit zu und atmete die frische Frühlingsluft ein. „Arbeitest du gerne im Garten?“
„Gerne oder nicht, es muss gemacht werden, Missy Jo, sonst hat hier niemand was zu essen.“
Josephine fragte sich, ob sie helfen sollte. Natürlich war das ein skandalöser Einfall. Aber alles andere in Jos Leben hatte sich verändert, und wenn sie essen wollten, wie Lizzie gesagt hatte, dann musste ihr jemand helfen. Außerdem hatte Jo nichts, womit sie die langen, leeren Stunden füllen konnte. „Soll ich dir helfen?“, fragte sie.
Lizzie starrte sie fassungslos an, bevor sie sich zusammenriss und den Blick abwandte. „Miz Eugenia würde ihrer Tochter niemals erlauben, Sklavenarbeit zu tun. Nein, Ma’am.“ Jo hörte die Empörung in ihrer Stimme.
„Aber jetzt ist alles anders, Lizzie. Ich finde, ich sollte lernen, wie wir unser eigenes Essen anbauen, für den Fall, dass ihr euch auch entschließt zu gehen.“ Während die Idee Gestalt annahm, merkte Josephine, wie sehr ihr der Gedanke gefiel, endlich einmal selbst etwas zu bewirken, anstatt darauf zu warten, dass ihr irgendwelche Dinge widerfuhren. Sie konnte ihr eigenes Schicksal in die Hand nehmen und selbst Nahrungsmittel anbauen, anstatt langsam zu verhungern. „Zeigst du mir, was ich machen muss, Lizzie?“
„Nein, Ma’am. Ich würde jede Menge Ärger bekommen, Missy Jo.“
„Ich verspreche dir, dass du keinen Ärger bekommst.“ Sie nahm Lizzie die Hacke aus der Hand. Sie war schwerer, als sie gedacht hatte, und der Holzgriff war rau und voller Splitter. „Zeig mir, was ich tun muss.“
Lizzie blickte ängstlich drein, während sie einen Schritt zurücktrat. Josephine wurde bewusst, dass all diese Veränderungen auch für sie schwierig sein mussten. In gewisser Weise hatten sich ihre Lebensumstände umgekehrt: Lizzie war befreit worden und dafür war Josephine jetzt diejenige, die in einer Welt voller Armut und Unsicherheit versklavt war. Da ihr Daddy sich nicht länger um sie kümmern konnte und Gott es allem Anschein nach auch nicht tat, würde Jo für sich selbst sorgen müssen – und sie würde damit anfangen, dass sie ihr eigenes Essen anbaute. Sie wandte Lizzie den Rücken zu und fing an, auf die Erde einzuhacken, damit Lizzie ihre plötzlich aufsteigenden Tränen nicht sah. „Ist es so richtig?“, fragte sie, während sie versuchte, Lizzies Bewegungen nachzuahmen.
„Warten Sie!
Weitere Kostenlose Bücher