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Am Anfang eines neuen Tages

Am Anfang eines neuen Tages

Titel: Am Anfang eines neuen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Austin
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Ich hole noch eine Hacke, Missy Jo, und zeige Ihnen, wie es richtig geht.“ Lizzie holte die Hacke, die am Gartenzaun gelehnt hatte, und bückte sich dann, um mit den Fingern durch eine Reihe winziger Pflanzen zu fahren, die wie zarte grüne Spitze aussahen. „Das hier sind Karottenpflanzen, Missy Jo. Der Rest – wie das hier – ist Unkraut. Ich jäte das Unkraut, damit die Pflanzen wachsen können. Aber ich muss vorsichtig sein, damit ich nicht die Pflanzen ausreiße, sonst haben wir nichts zu essen. Ich nehme die spitze Seite der Hacke, sehen Sie? So.“
    „Ist es so richtig?“, fragte Jo, die es erneut versuchte.
    „Ja, Ma’am.“ Sie gingen die Reihen entlang und arbeiteten Seite an Seite. Es war ein wunderbares Gefühl für Josephine, etwas Sinnvolles zu tun. Aber sie sah, dass Lizzie nervös war und immer wieder zum Haus hinaufblickte, als fürchtete sie, Mutter könnte sie beobachten. Jo beschloss, ein wenig Smalltalk zu machen – eine der weiblichen Künste, die Mutter versucht hatte, ihren Töchtern beizubringen, und etwas, das Josephine nicht besonders gut beherrschte, vor allem nicht mit jungen Männern. Mit Sklaven sollte sie natürlich überhaupt nicht sprechen, außer um ihnen Befehle zu erteilen.
    „Warum gibt es um den Garten herum einen Zaun, Lizzie?“
    „Damit die Kaninchen nicht rein können, Missy Jo.“
    „Wir haben Kaninchen hier? So dicht am Haus?“
    „Ja, Ma’am. So viele wie noch nie. Massa Philips Jagdhunde haben sie früher vom Hof gejagt, aber …“ Sie hielt inne und warf Josephine einen Blick zu, als hätte sie Angst, etwas Falsches gesagt zu haben. „Otis stellt rund um den Zaun Fallen auf und manchmal fängt er uns ein Kaninchen zum Abendessen“, sagte Lizzie.
    Josephine fand den Gedanken, Kaninchen zu essen, abstoßend, aber Lizzie schien sich endlich ein wenig zu entspannen, also ließ Jo sich nichts anmerken. „Wofür ist das Holzkreuz da drüben?“, fragte sie stattdessen und zeigte auf zwei Äste, die zusammengebunden worden waren. Daran befestigte Lumpen flatterten im Wind. Gehörte das zu irgendeinem Aberglauben der Sklaven?
    „Sie meinen das da?“ Lizzie lächelte. „Das ist eine Vogelscheuche, Missy Jo. Oder wenigstens sollte es eine sein. Sie muss dringend repariert werden, wie alles hier, sonst verscheucht sie gar nichts. Die Krähen sollen denken, dass da ein Mensch steht, damit sie sich nicht in den Garten trauen.“
    „Und was ist mit den Stöcken, die aussehen wie ein Indianerzelt?“
    „Die sind für die Stangenbohnen, damit sie daran hochklettern können, wenn die Pflanzen größer geworden sind.“
    „Es gibt so vieles, was ich nicht weiß“, sagte Jo seufzend. „Ich habe mein ganzes Leben hier auf White Oak verbracht und das Essen stand einfach auf dem Tisch. Ich muss zugeben, dass ich nie darüber nachgedacht habe, woher es kommt, und darüber, dass es vor Vögeln und Kaninchen und Unkraut geschützt werden muss, während es wächst.“
    Vielleicht hatte es auch in ihrem alten Leben Lücken und leere Stellen gegeben und sie hatte sie nur nicht bemerkt. Lücken in ihrem praktischen Wissen darüber, wie ihre Nahrung angebaut wurde, und auch Lücken in ihrer eigenen Nützlichkeit. Was hatte es ihr oder ihrer Familie in den bitteren Kriegsjahren genutzt zu wissen, wie man Klavier spielt oder Aquarelle malt oder höflich mit jemandem plaudert? Und wie sollten diese Fertigkeiten jetzt irgendjemandem dienlich sein?
    Josephine erreichte das Ende ihrer Reihe und betrachtete ihre Arbeit. Sie sah nicht annähernd so gerade und ordentlich aus wie die von Lizzie und dabei war Lizzie viel schneller fertig geworden und hatte schon eine neue Reihe begonnen. Jo ergriff mit neuer Entschlossenheit ihre Hacke. „Wann können wir diese Karotten ernten?“
    „Das dauert noch ganz, ganz lange, Missy Jo.“ Sie lächelte kurz. „In ungefähr einer Woche müssen wir sie ausdünnen, damit die Karotten schön dick werden können.“
    „Wie macht man das?“
    „Man reißt einige von den Pflanzen aus und lässt den Rest stehen.“
    „Das ist doch schade. Vor allem, wenn die Pflanzen so lange brauchen, um zu wachsen.“ Und doch waren die Veränderungen in Jos Leben genauso erbarmungslos gewesen. Menschen, die sie liebte, waren ihr einfach weggenommen worden. Erst waren Samuel und Daddy noch am Leben gewesen und dann waren sie fort gewesen, schneller, als Karotten oder Bohnen keimen konnten. Im letzten Herbst hatten Dutzende Sklaven die Felder beackert, aber

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