Am Anfang eines neuen Tages
konnte nur bis zur anderen Seite des Waldes mitgehen. Gott weiß, dass ich sie nicht gerne allein gelassen habe, das steht fest.“
Lizzie war auf ihre Strohmatte gesunken, erleichtert, ihn zu sehen, erschöpft von der Sorge und müde vor Schlafmangel. „Komm wieder ins Bett, Otis. Bald geht die Sonne auf.“
„Nein, ich werde nicht schlafen. Ich glaube, ich setze mich hierhin und bete, wenn es dir nichts ausmacht.“
Jetzt fragte Lizzie sich unwillkürlich, was mit Missy Josephine geschehen war. „Otis?“, flüsterte sie. Er hob den gesenkten Kopf und sah sie an, dann stand er auf und reckte Arme und Schultern. „Ist Missy Jo zurückgekommen?“, fragte sie ihn.
„Ich weiß es nicht. Aber wir werden es bald herausfinden.“
Lizzie stand auf und zog Kleid und Schuhe an. Die Julisonne war bereits aufgegangen und schien brennend heiß. Lizzie wünschte, sie schliefe noch. Die letzte Nacht war ihr wie ein Albtraum erschienen und sie hatte Angst aufzuwachen und festzustellen, dass alles wahr geworden war.
Morgens war Lizzie immer in Eile, während sie versuchte, das Essen für die Weißen zuzubereiten, Otis und den anderen Männern Frühstück zu machen, damit sie aufs Feld gehen konnten, und die Kinder zu wecken und in die Schule zu schicken. Die Küche war das Zentrum des Geschehens und an den meisten Tagen herrschte dort geschäftiges Treiben. Aber als Lizzie die Kohlen des gestrigen Tages schürte und das Feuer im Herd anfachte, hatte sie das Gefühl, als hielte jemand einen riesigen gusseisernen Topf über ihren Kopf, gefüllt mit allen möglichen schlechten Dingen, und wartete nur darauf, ihn auf sie herunterfallen zu lassen.
„Massa Daniels Pferd ist im Stall“, erzählte Otis ihr, als er einige Minuten später hereinkam, „also muss er wieder da sein.“
„Wir lassen die Kinder heute besser zu Hause, bis wir von Missy Jo wissen, was passiert ist.“
„Was sollen wir Saul und Clara und den anderen sagen?“
„Die Wahrheit. Sie müssen wissen, was für ein Mann Massa Daniel ist und was er zu tun versucht hat.“
Otis nickte. „Aber sag den Kindern nichts. Ich will nicht, dass sie die ganze Zeit Angst haben.“
„Aber sollten wir sie nicht vor ihm warnen? Sie müssen es wissen.“
„Warten wir erst einmal, bis wir wissen, was gestern Nacht wirklich geschehen ist.“
Lizzie wollte nicht warten. Sie wollte ihre Familie um sich scharen und so weit wie möglich von White Oak weggehen, um sich an irgendeinem sicheren Ort zu verstecken. Wenn sie doch nur wüsste, wo dieser sichere Ort sein könnte! Sie nahm den Eierkorb und ging nach draußen, um die Hühner aus dem Stall zu lassen und die Eier einzusammeln. Vor ein paar Tagen war sie noch so glücklich gewesen. Ihre Kinder lernten lesen und schreiben, Otis baute seine eigene Baumwolle an, ohne dass jemand ihn herumkommandierte, und sie konnte den ganzen Tag mit Clara reden und sich die Arbeit mit ihr teilen – das Waschen und Kochen und Buttern der Sahne von der neuen Kuh. Lizzie war beinahe so weit gewesen zu glauben, dass die Bibel recht hatte und dass jede Träne, die jemals vergossen worden war, eine Ernte der Freude brachte. Aber jetzt nicht mehr.
Als Lizzie gerade die Brötchen in den Ofen schob, kam Clara mit einem Eimer frischer Milch in die Küche. Sie erkannte an der Angst in ihren Augen, dass Otis ihr von der letzten Nacht erzählt hatte. Clara stellte den Eimer auf den Tisch, aber ihre Schultern waren immer noch gebeugt, als trüge sie eine schwere Last. „Was sollen wir machen, Lizzie?“
„Ich weiß es nicht. Otis sagt, wir sollen abwarten.“
Lizzie war mit einem großen Teller Rührei in der einen Hand und einem Korb mit heißen Brötchen in der anderen auf dem Weg ins große Haus, als ihr Blick zufällig zu ihrer Hütte wanderte. Eine Gruppe ehemaliger Sklaven, vielleicht ein Dutzend oder so, kamen die kleine Anhöhe von der Sklavensiedlung herauf. Waren sie hinter Massa Daniel her, so wie er es letzte Nacht auf Mr Chandler abgesehen hatte? Würde es jetzt einen Krieg geben, in dem Schwarze gegen Weiße kämpften? Sie fröstelte vor Angst und eilte mit dem Essen ins Speisezimmer, in der Hoffnung, dass Missy Jo dort brav wie immer saß und ihr erzählte, alles sei ein Versehen gewesen und letzte Nacht sei gar nichts geschehen. Aber Miz Eugenia und Missy Mary waren die Einzigen, die am Tisch saßen.
Lizzies Hand zitterte wie die einer alten Frau, als sie das Frühstück vor den beiden auf den Tisch stellte. „Sonst noch
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