Am Anfang eines neuen Tages
essen hatten.
„Ich stimme den anderen zu“, sagte Saul leise. „Ich wollte dir helfen, Otis, und ich wollte, dass meine Kinder in diese Schule gehen. Aber jetzt ist sie nicht mehr da und Mr Chandler passt nicht mehr auf uns auf …“
Lizzie hörte Otis seufzen. Er blickte auf seine Felder hinaus und seine Schultern waren noch immer gerade und stark. „Ich brauche Zeit, um darüber zu beten, was wir tun sollen“, sagte er. „Gott ist jetzt mein Massa und ich will tun, was er sagt. Wenn er sagt, ich soll hierbleiben, dann kann ich mich darauf verlassen, dass er auf mich aufpasst. Wenn er sagt, ich soll gehen, dann gehe ich. In der Zwischenzeit nehme ich es dir und Clara nicht übel, wenn ihr gehen wollt.“
In der Ferne hörte Lizzie Miz Eugenias Glocke im Speisezimmer läuten. Sie stöhnte. Die Weißen und ihr Frühstück hatte sie völlig vergessen. „Ich sehe besser nach, was sie will“, sagte sie. Aber ihre Gedanken waren meilenweit entfernt, während sie ins Haus ging und den Flur hinunter zum Esszimmer. Wohin konnten sie und ihre Familie gehen, um endlich frei zu sein und ihr Leben ohne Sorge und Angst zu führen? Gab es irgendwo auf der Welt einen solchen Ort?
„Lizzie!“, sagte Miz Eugenia, als sie durch die Tür kam. „Was in aller Welt ist los? Roselle hat mir die Butter geradezu an den Kopf geworfen und ist weggerannt, und seitdem warten wir auf unseren Tee.“
„Es tut mir leid, Ma’am. Ich … ich …“ Sie verstummte. Missy Jo saß auf ihrem Platz am Tisch. Lizzies ganzer Körper entspannte sich vor Erleichterung. Tränen schossen in ihre Augen und sie wusste nicht, was sie sagen oder tun sollte. Die Missy sah zwar so weiß aus wie die Tischdecke und hatte dunkle Ringe wie blaue Flecken unter den Augen, aber sie war am Leben. Wenn jetzt noch Mr Chandler lebte …
„Lizzie? Was ist heute mit euch los?“, fragte Miz Eugenia.
„T-tut mir leid“, stammelte sie.
„Erzähl es uns“, sagte Missy Jo. „Bitte.“
Lizzie sah Missy Jo an und sah, wie sie nickte. Sie wollte ihr die Wahrheit sagen. „Also … wir … wir haben gerade schlechte Nachrichten bekommen, Ma’am. Unsere Schule ist gestern Nacht ganz abgebrannt und …“ Sie schlug sich die Hand vor den Mund und brachte den Rest nicht heraus, weil sie wusste, dass es ihre Schuld war.
„Was ist mit dem Yankee, der dort gearbeitet hat?“, fragte Miz Eugenia. Lizzie überraschte es, dass sie es war, die danach fragte. Miz Eugenia war beinahe ebenso blass geworden wie ihre Tochter. Sie saß ganz still, die Hände reglos. Ausnahmsweise hatte sie das Kinn nicht vorgereckt.
Lizzie schluckte einen Kloß in ihrem Hals herunter. „Sie gehen davon aus, dass man ihn tot zwischen den Trümmern finden wird.“ Sie hörte ein lautes Scharren, als Miz Eugenia ihren Stuhl vom Tisch zurückschob.
„Entschuldigt mich“, murmelte sie und eilte aus dem Zimmer. Lizzie stand wie angewurzelt da, weil sie nicht wusste, was sie als Nächstes tun sollte. Wie konnte jemand von ihr erwarten, dass sie klar denken konnte, wenn Mr Chandler tot war und es ihre Schuld war? Missy Mary stand auf und eilte ihrer Mutter nach, sodass nur noch Missy Jo am Tisch saß.
„Komm her, Lizzie“, sagte sie leise. Sie gehorchte und durchquerte den Raum, um neben Missy Jo zu treten. Lizzie hatte keine Ahnung, was sie erwartete, und ihre Beine fingen an zu zittern. „Er ist nicht tot“, flüsterte Missy Jo.
„W-was?“
„Mr Chandler ist bei dem Brand nicht umgekommen. Ich war rechtzeitig dort, dank deiner und Otis’ Hilfe. Er ist in Sicherheit, Lizzie.“
„Oh, danke, Herr!“ Sie wankte und wäre beinahe gestürzt. Missy Jo sprang auf, um Lizzie zu stützen.
„Aber bitte sag es noch niemandem. Nur Otis. Mein Bruder weiß, dass ich diejenige war, die Mr Chandler gewarnt hat und … und ich weiß nicht, was jetzt mit uns allen geschehen wird.“
Lizzie hob ihre Schürze, hielt sie sich vors Gesicht und weinte hi-nein. Sie konnte nicht anders. Erleichterung und Kummer und Angst und Hoffnung kämpften in ihrem Innern miteinander. Sie wusste auch nicht, was geschehen würde – es gab keine Schule mehr und die anderen wollten alle weggehen –, aber wenigstens waren Missy Josephine und Mr Chandler am Leben. Das war für einen Tag genug an guten Neuigkeiten.
Kapitel 31
Eugenia eilte aus dem Esszimmer, während der Schmerz ihre Brust einschnürte. Sie konnte nicht atmen. Das Amt für Freigelassene war abgebrannt. Ein Mann war tot! Warum hatte sie Daniel
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