Am Anfang eines neuen Tages
Damit muss ich für immer leben. Inwiefern sollte es daran etwas wiedergutmachen, wenn ich dir helfe?“
„Weil die Sklavin, die du vergewaltigt hast, schwanger wurde. Sie hatte eine Tochter bekommen. Und genau dies Mädchen hat Daniel heute Abend entführt – deine Tochter. Er wird sie töten.“
„Meine Toch …? Denkst du dir das alles aus?“
„Nein, das tue ich nicht. Ich schwöre, dass es die Wahrheit ist. Bitte, Harrison. Auf dich wird Daniel hören. Er und die anderen Männer res-pektieren dich. Dies ist deine Chance, das, was du Lizzie angetan hast, wiedergutzumachen. Du kannst sie und ihre Familie retten.“
„Harrison?“ Priscilla war auf die Veranda herausgekommen. „Mit wem redest du denn da? Wer ist da?“
„Es ist nichts, Mutter. Geh wieder hinein.“ Er und Josephine warteten ab. Keiner von ihnen wagte es, etwas zu sagen. Aber Priscilla rührte sich nicht von der Stelle. „Sie weiß nichts davon“, flüsterte Harrison. „Sie hat nie herausgefunden, was Sam und ich getan haben. Es hätte sie umgebracht.“
„Dann hilf mir. Bitte“, gab Josephine flüsternd zurück.
„Josephine? Was machst du denn hier?“ Priscilla war die Treppe heruntergekommen. Sie starrte Jo an, die wusste, dass sie furchtbar aussehen musste, mit aufgelöster Frisur und in Schweiß gebadet. „Was in aller Welt ist denn los? Ist etwas passiert?“
„Es tut mir leid, Mrs Blake. Ich verspreche, dass ich es später erkläre, aber ich brauche Harrisons Hilfe und wir müssen uns beeilen.“ Sie blickte zu ihm auf und flehte ihn stumm an. Bisher hatte er nicht eingewilligt, ihr zu helfen, und so hielt sie die Luft an und wartete. Wenn er sich weigerte, würde sie ihn bitten, ihr seine Kutsche zu leihen, und versuchen, Dr. Hunter zu finden. Aber sie hatte nicht mehr viel Zeit.
„Ist irgendetwas auf White Oak nicht in Ordnung?“, fragte Priscilla. „Geht es deiner Familie gut?“
„Ja, meiner Familie geht es gut …“ Jo umfasste Harrisons Handgelenk, das er sich mit seinem Rasiermesser aufgeschnitten hatte. „Bitte“, flüsterte sie.
Endlich sprach er. „Ich werde dir alles später erklären, Mutter. Jo braucht Hilfe wegen eines ihrer Sklaven.“
„Aber … aber wohin geht ihr?“
„Es ist nichts, Mutter. Ich erzähle dir davon, wenn ich wieder da bin. Komm mit“, sagte er zu Josephine. „Wir müssen mein Pferd nehmen.“
Er kam schrecklich langsam voran, als er auf seinen Krücken den Weg über den Hof zum Stall zurücklegte. Jo wusste nicht, wie er den unebenen Boden im Dunkeln überhaupt bewältigte. Noch bevor sie die Hälfte der Strecke hinter sich hatten, keuchte und schwitzte er von der Anstrengung und Josephine sah, welche enorme Mühe es ihn kostete, eine solche Entfernung zurückzulegen. Sie öffnete die Stalltür für ihn, konnte im Inneren aber nichts erkennen. Wie sollten sie das Pferd jemals finden, geschweige denn satteln?
„Henry!“, rief Harrison. „Henry, bist du hier?“
„Ja, Sir“, antwortete eine Stimme.
„Du musst mein Pferd für mich satteln.“
„Ja, Sir. Ich mache nur schnell die Laterne an, Sir.“
Erleichtert sank Josephine gegen den Türpfosten. Dem Himmel sei Dank, dass die Blakes Dienstboten hatten, die ihnen halfen. Dem Himmel sei Dank für Alexander und das Amt für Freigelassene. Einen Augenblick später flackerte ein Licht auf. Josephine sah zu, wie der junge Schwarze Harrisons Pferd für ihn herrichtete, ihm das Zaumzeug anlegte und die Steigbügel festzog. Am liebsten hätte sie ihn angefleht, sich zu beeilen, aber sie wusste, dass das nichts nutzen würde.
„Und jetzt hilf mir hinauf“, sagte Harrison schließlich. Der Junge nahm Harrisons Krücken und stützte ihn, als er sich an das Pferd lehnte und sich in den Sattel hinaufzog. Harrison war von dem Gang durch den Hof müde und hatte große Mühe, sich hinaufzuhieven. Wie demütigend es für ihn sein musste, so viel Hilfe zu benötigen. Und an der Grimasse in Harrisons Gesicht konnte Jo sehen, dass das Manöver außerdem noch schmerzhaft war. Als er endlich im Sattel saß, schwitzte er und sah blass aus.
„Hilf mir bitte auch hinauf“, sagte sie zu dem Diener.
„Nein, Josephine. Du bleibst hier. Sag mir, wohin ich muss.“
„Ich will mitkommen. Ich kann reiten. Sag ihm, dass er mir hinaufhelfen soll.“
Das Pferd schnaubte und trat auf der Stelle, während es wartete. „Du vertraust mir nicht, oder?“, sagte Harrison. „Du glaubst nicht, dass ich deinen Sklaven wirklich helfen
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