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Am Anfang war das Wort

Am Anfang war das Wort

Titel: Am Anfang war das Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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plötzliche Übelkeit ergriff ihn. Er versuchte, den Brechreiz zu unterdrücken, die Angst zu ignorieren, den Gedanken zur Seite zu schieben, daß im nächsten Augenblick alles zusammenbrechen würde, daß er einer persönlichen Neigung aufgesessen war, daß er wirklich seine Fähigkeit, abzuwägen, verloren hatte. Dieser Gedanke ließ ihn nicht los, er wäre lieber wütend geworden, aber diese Besorgnis überlagerte alles. Er versuchte, seine Beinmuskeln zu entspannen, und schaffte es noch nicht mal, die Beine auszustrecken. Die Luft im Zimmer war stickig. Er schaute sich um, das Fenster war offen, und dann blickte er Klein an, der ihm gegenübersaß und schwieg. Schließlich räusperte sich Klein ein paarmal und fragte dann mit seiner Baßstimme: »Worum geht es?«
    Michael betrachtete die dicken Lippen, die jetzt ganz . trocken waren, und fragte leise, wann er aus Amerika zurückgekommen sei.
    »Das habe ich doch schon gesagt, am Donnerstag mittag. Es gibt doch nichts, was leichter nachzuprüfen wäre«, antwortete Klein erstaunt, doch Michael schaute auf Kleins Hände und sah, wie sie sich zu Fäusten ballten. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt, und auf seiner Stirn erschienen Schweißperlen. Michael merkte sich jedes Detail. »Achtet auf den Körper«, erklärte er immer in den Kursen für angehende Kriminalbeamte. »Es ist der Körper, der spricht.« Und Kleins Körper sang geradezu. Jede Bewegung zeigte Angst. Und die kultivierte Stimme, das Fehlen von Empörung ... das alles stand im Widerspruch zueinander. Michael wußte, daß Klein log, oder besser gesagt, tröstete er sich selbst, daß er ihm Informationen vorenthielt, aber noch immer konnte er nicht anders, er mußte diesem Mann Achtung entgegenbringen. Ein anderer müßte ihn verhören, dachte er, ich bin befangen. Aber ich will auch, daß man zartfühlend mit ihm umgeht, daß man ihn achtet, und es gibt ja sonst niemanden, der sein Niveau hat. Ich kann ihn nicht Balilati oder Bachar überlassen.
    »Können Sie mir bitte noch einmal sagen, warum Sie getrennt geflogen sind, Sie und Ihre Familie?«
    »Was ist passiert?« fragte Klein und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Was ist plötzlich los?«
    »Bitte beantworten Sie nur meine Frage, warum sind Sie getrennt geflogen?«
    »Wegen der Abschlußfeier meiner Tochter, der mittleren, Dina. Ich habe es Ihnen doch schon gesagt. Sie wollte nicht darauf verzichten, und ich konnte nicht warten, wegen meiner Mutter, ich hatte es ihr versprochen. Außerdem gab es für mich keinen Platz in dem Flugzeug, das am Sabbatausgang angekommen ist. Ofra und ich fliegen nie zusammen, sie ist in dieser Hinsicht ängstlich.«
    »Und sie flog mit allen Töchtern gemeinsam zurück?«
    Klein sagte ungeduldig: »Ja, das habe ich doch schon gesagt.«
    »Gut, lassen wir das jetzt. Sie haben ausgesagt, daß ein Leihwagen auf Sie gewartet hat? Auf dem Flughafen?«
    Klein nickte. Seine Arme waren noch immer vor der Brust verschränkt, als wolle er die geballten Hände verbergen. »Ich habe das Auto schon von Amerika aus bestellt.«
    »Warum sind Sie nicht von Ihrer Familie abgeholt worden? Schließlich haben sie Sie fast ein Jahr lang nicht gesehen, Ihr Bruder, Ihre Schwester, sogar Ihre Mutter – warum sind sie nicht gekommen?«
    Klein nahm die Hände von der Brust und legte sie auf die Knie, so daß sich seine Schultern hoben und sein Oberkörper sich streckte. Michael wartete.
    »Das war eine eher komplizierte familiäre Abmachung. Wir haben ausgemacht, daß sie am Sabbat zu meiner Mutter kommen. Das war am bequemsten, ich mag anderen nicht zur Last fallen.«
    »Sind Sie sicher, daß das der Grund ist?«
    »Was soll das heißen? An was für einen anderen Grund denken Sie?«
    »Sie hätten sich Bewegungsfreiheit verschaffen können, zum Beispiel«, sagte Michael leise, und in seinem Inneren kämpften widersprüchliche Wünsche. Er soll lügen, dachte er, er soll weiterlügen, dann kann ich wütend werden. Aber zugleich wünschte er, der andere solle nicht lügen, er solle so sein wie vor einigen Stunden, ein aufrechter, guter Mensch.
    Klein schwieg.
    »Wann genau sind Sie in Rosch-Pina angekommen, bei Ihrer Mutter?« stellte Michael schließlich die Frage, vor der er sich fürchtete.
    Klein verschränkte wieder die Arme vor der Brust. »Ich habe es Ihnen schon gesagt«, sagte er und preßte die Lippen zusammen.
    Michael wartete, aber Klein schwieg.
    »Wir wissen, daß Sie am Donnerstag abend nicht dort waren«,

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