Am Anfang war das Wort
paßt es besser.«
»Und dabei sag' ich gar nichts über die französischen Käsesorten hier und die Würste und den Wein«, sagte Scha'ul. »Alles ausländische Sachen.«
»Scha'ul«, sagte Michael müde. »Ruf daheim an, bevor du gehst. Es lohnt sich nicht, daß du dir diesen Abend ganz und gar verdirbst. Los, geh schon. Du wolltest doch gehen, oder?«
Das waren die Momente, die Michael am meisten verabscheute. Auch ihn brachten die Zeichen des gepflegten Wohlstands auf, die überall zu erkennen waren, angefangen bei den grauen Anzügen bis zu den Flaschen mit Parfüm und Rasierwasser, die er, auf dem Weg in die Küche, im Badezimmerschrank entdeckt hatte. Aber dieser offene Neid Balilatis, der sich in bissigen Bemerkungen äußerte, regte ihn ebenfalls auf. Begriffe wie »Ehrung der Toten« und »Wahrung der Privatsphäre« schossen ihm durch den Kopf und wurden, wegen der Aggressivität und der Verachtung in Balilatis Worten, lebendig. Michael sehnte sich plötzlich nach einer einfachen, sättigenden Mahlzeit, nach schwarzem, dampfendem Kaffee, nach etwas, das die ganze Dekadenz um ihn herum auslöschen würde.
»Kultiviertheit ist eine andere Seite des Negativen.« Plötzlich fiel ihm dieser Satz aus einem Gedicht Natan Sachs ein, und er hatte irgendwie das Gefühl, ihn besser als je zuvor zu verstehen, als sei er in den »Geist der Dinge« eingedrungen, auch wenn noch ein weiter Weg vor ihm lag. Das dachte er, während Scha'ul am Telefon versuchte, seine Frau zu beruhigen.
Die Formulierung »Der Geist der Dinge«, die von allen, die mit ihm zusammenarbeiteten, oft und mit einem Lächeln zitiert wurde, war sein persönlicher Beitrag zu einem ungewöhnlichen Untersuchungsstil. Er mußte, seinem Gefühl nach, immer ein Teil der Welt des Opfers werden, er mußte die Nuancen in der Welt des Ermordeten erfühlen.
Die literarischen Assoziationen, die ihm durch den Kopf gingen, seit er die Leiche gesehen hatte, waren Teil eines nicht von seinem Willen gesteuerten Prozesses, sie waren ein Versuch, in die Welt der literarischen Fakultät einzusteigen. Er drang, das fühlte er, in die Tiefe von Tiroschs Seele ein und spürte ganz deutlich die Einsamkeit, die Leere, das irgendwie Unechte und Verlorene an dessen Existenz, und er wußte, daß er nicht der einzige war, der das spürte, nur daß Balilati und Eli Bachar diese Erkenntnis abwehrten und eine offene Abneigung gegen die Welt Tiroschs empfanden, während er seinem Gefühl folgte und wünschte, daß die Ströme des Unterbewußten aus Tiroschs Leben Macht über ihn gewannen.
Balilati riß ihn aus seinen Gedanken. »Gehen wir?«
»Noch nicht«, antwortete Michael. »Gibt es hier einen Schuppen?«
»Hinter dem Haus, aber da war nichts Ungewöhnliches drin: ein paar Arbeitsgeräte, Kartons, alte Zeitungen, ein paar Flaschen Wein und ein paar Möbel«, sagte Zwika. »Ich habe alles fotografiert.«
»Gut, dann können wir für heute Schluß machen.« Michael seufzte. An der Tür blieb er stehen und sagte zu Balilati: »Oder – ich glaube, wir sollten auch noch mitnehmen, was in den anderen Schubladen war.«
»Du hast doch gesagt, das seien nur Gedichte«, protestierte Balilati.
»Trotzdem, gib mir einen leeren Sack«, sagte Michael zu Zwika und ging zurück zum Schlafzimmer. Nachdem er die Notizbücher mit den Gedichten und die Fotoalben eingepackt hatte, betrachtete er noch einmal das Bett. Der seidene Morgenrock war schon nicht mehr da, die Leute von der Spurensicherung hatten ihn eingepackt. Einen Moment lang sah er sich um, dann nahm er den Gedichtband von Anatoli Ferber, der auf dem Bett lag. Ich werde ihn mir anschauen, dachte er müde, schließlich war dies offenbar das letzte Buch, das Tirosch vor seinem Tod gelesen hat.
Michael ging zu den anderen zurück und stellte den Sack vorsichtig in den Streifenwagen der Spurensicherung. Der Ford Escort stand nicht mehr auf dem Parkplatz. Im ersten Moment erschrak er, dann fiel ihm Eli Bachar ein. Er stieg in den Renault von Balilati, auf den Beifahrersitz. Das Funkgerät begann einen Signalton zu senden.
»Wo bist du?« fragte der Diensthabende, als er Michaels Stimme hörte. »Dani 3 sucht dich.«
»Unterwegs«, antwortete Ochajon. In ein paar Minuten sei er in der Zentrale.
Als sie am Migrasch ha-Russim ankamen, sagte Balilati: »Ich komme gleich wieder.« Und schon war er um die Ecke verschwunden.
Eli Bachar stand im Kontrollraum der Zentrale und sagte: »Dann verbinde mich mit Arie Levi, was soll das
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