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Am Anfang war der Seitensprung

Am Anfang war der Seitensprung

Titel: Am Anfang war der Seitensprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amelie Fried
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ich sie zur Rede.
    »Wenn du mir keine Kohle gibst, dann zwingst du mich ja zum Klauen«, heulte sie. »Alle gehen da heute abend hin, das kannst du mir einfach nicht antun.«
    Die Wimperntusche lief über ihr Kindergesicht, die Unterlippe zitterte, plötzlich war sie kein gräßlicher Teenager mehr, sondern ein armes kleines Mädchen, das in den Arm genommen werden wollte. Fast hätte sie mein Mutterherz erweicht.
    Konsequenz! blinkte es da warnend, Konsequenz ist das A und O der Erziehung!
    »Nein, Lucy, klauen geht einfach zu weit. Wenn ich dir nicht mehr vertrauen kann, kann ich auch nicht mehr großzügig sein. Diesmal mußt du die Konsequenzen tragen.«
    Ich mußte einfach hart bleiben. Weil es zum Besten meines Kindes war. Weil ich mir später nicht vorwerfen lassen wollte, ihr keine Grenzen gesetzt zu haben.
    Queen Mum kam, eine Zigarette zwischen den Lippen, in die Küche geschlendert, wo unsere Auseinandersetzung stattfand.
    Lucy witterte ihre letzte Chance.
    »Omi, Mami will mir kein Geld fürs Konzert geben!«
    Queen Mum sah mich verständnislos an.
    »Gönn dem Kind doch ein bißchen Kultur«, meinte sie, zog einen Hundertmarkschein aus der Tasche und gab ihn Lucy. »Hier, lad dir noch eine Freundin ein. Und für den Rest könnt ihr was trinken. Aber keine Cola!«

    »Danke, Omi!« jubelte Lucy und machte, daß sie wegkam.
    »Was fällt dir ein, Mummy!« schrie ich empört. »Lucy hat mich beklaut, und du schenkst ihr hundert Mark?«
    »Ich bin ihre Großmutter, ich muß sie nicht erziehen«, antwortete sie lächelnd.
    »Aber ich muß sie erziehen, und ich finde es unglaublich, wie du dich hier einmischst!« brüllte ich, jetzt völlig außer mir.
    Der Gesichtsausdruck meiner Mutter veränderte sich schlagartig. Plötzlich sah sie traurig und gequält aus.
    »Dir kann ich es sowieso nicht recht machen. Alles, was ich mache, empfindest du als Einmischung. Dabei meine ich es nur gut. Aber du kannst nichts von mir annehmen.
    Am besten ist, ich gehe doch ins Hotel.«
    Sie verließ die Küche.
    Ich blieb zurück, die Fäuste geballt.
    Es war so ungerecht! Ich hatte mir solche Mühe gegeben.
    Was konnte ich dafür, daß alles so schwierig zwischen uns war? Es war doch ganz gut gelaufen, und jetzt kam sie wieder mit der alten Nummer: Du liebst mich nicht genug.
    Dagegen war ich machtlos, damit war jede Diskussion beendet. Dabei hatte doch sie einen Fehler gemacht! In meiner Wut flüchtete ich ins Schlafzimmer, warf mich aufs Bett, trommelte mit den Fäusten auf die Matratze.

    Ich liege auf dem Boden meines Kinderzimmers, das Gesicht in den Armen vergraben, der Körper von Schluchzen geschüttelt. Meine Klassenkameraden machen einen Schulausflug, ich darf nicht mit, ich habe Hausarrest.

    Der Grund für die Strafe ist, daß ich gelogen habe. Ich habe der Lehrerin gesagt, daß ich nicht weiß, wer die Topfpflanze in unserem Klassenzimmer runtergeworfen hat. Dabei weiß ich es, es war Britta. Und Britta ist meine Freundin. Ich habe überlegt, was schlimmer ist: die Lehrerin anzulügen oder eine Freundin zu versetzen.
    Ich bin zu dem Schluß gekommen, daß es besser ist, die Lehrerin zu belügen. Andere Kinder in meiner Klasse haben das anders gesehen und mich verpetzt.
    Meine Eltern interessieren sich nicht für die Hintergründe, ihnen reicht es, daß ich gelogen habe. Und so liege ich in meinem Zimmer und weine und wünsche mir, tot zu sein. Ich stelle mir vor, wie alle zu meiner Beerdigung kommen. Die Lehrerin, meine Mitschüler, meine Eltern.
    Die Wahrheit ist inzwischen ans Licht gekommen, alle bewundern mein edelmütiges Verhalten, meine Eltern werfen sich schluchzend über meinen Sarg und machen sich die entsetzlichsten Vorwürfe, weil sie mich so ungerecht behandelt haben.
    Die Vorstellung ist so wahnsinnig rührend, daß ich noch mehr weinen muß. Gleichzeitig ist sie tröstlich, und so schlafe ich über meinem Kummer ein.

    Plötzlich stand Jonas im Zimmer.
    »Was ist mit dir, Mami?«
    Ich schreckte hoch, lächelte ihn mit rotgeweinten Augen an und versuchte, meiner Stimme einen normalen Klang zu geben. »Alles o. k., Schätzchen. Komm her.«
    Ich nahm ihn in die Arme und wiegte ihn wie ein Baby.
    Dabei kamen mir wieder die Tränen. So zart waren sie, so zerbrechlich, die Körper und Seelen dieser kleinen Biester. Und ständig machte man alles falsch, obwohl man sich geschworen hatte, alles besser zu machen. Besser als die eigenen Eltern, diese Versager.
    Immer wieder erschrak ich bei dem Gedanken, daß

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