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Am Anfang war der Seitensprung

Am Anfang war der Seitensprung

Titel: Am Anfang war der Seitensprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amelie Fried
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ich verantwortlich für meine Kinder war, daß ich sie an der Hand nehmen und ins Leben führen sollte. Dabei hatte ich das Gefühl, daß ich ganz dringend jemanden brauchte, der mich an der Hand nahm.
    Ich dachte an den Moment, als ich Jonas nach der Geburt zum ersten Mal angesehen hatte. Seine Augen waren weit geöffnet gewesen, auf seinem Gesicht hatte ein Ausdruck von Weisheit gelegen. Ich hatte gefühlt, daß er in diesem Augenblick noch Dinge wußte, die aus einer anderen Welt waren, die bald für immer vergessen sein würden. Ich hatte eine unendliche Ehrfurcht vor dem Leben empfunden, vor dieser gewaltigen Fähigkeit der Natur, sich immer wieder neu zu erschaffen.
    Jonas lag entspannt in meinem Arm und nuckelte gemütlich am Daumen, trotz seiner fünf Jahre.
    »Hast du geweint, Mami?«
    »Ja, hab ich. Auch Erwachsene sind manchmal traurig.«
    Seine kleine, warme Hand fuhr täppisch in meinem Gesicht hin und her beim Versuch, mich zu trösten.
    »Ist es wieder gut?«
    Energisch zog ich die Nase hoch. »Ja, jetzt ist es wieder gut.«

    Natürlich dachte Queen Mum nicht daran, ins Hotel zu ziehen. Beim Abendessen saß sie putzmunter am Tisch und tat, als sei nichts gewesen. Auch ich ließ mir nicht anmerken, wie sehr der Vorfall mich mitgenommen hatte.
    Das einzig Verdächtige war Lucys Verhalten. Sie war zuckersüß wie schon lange nicht mehr.
    »Was ist los, Töchterlein«, flachste Friedrich, »bist du krank?«
    »Lucy ist verliehiebt, Lucy ist verliehiebt!« sang Jonas.
    Lucy gab ihm eine Kopfnuß. »Jonas ist ein Blödmann, Jonas ist ein Blödmann«, sang sie zurück.
    »Was ist das eigentlich für ein Konzert, Lucy?« fragte Queen Mum. »Klavier, Gesang oder Orchester?«
    Lucy lief rot an. »Äh … von allem so’n bißchen.«
    Ich feixte innerlich. Queen Mum würde durchdrehen, wenn sie erführe, daß Lucy ihr Geld dafür ausgeben wollte, fünf halbwüchsigen Bengeln in idiotischen Klamotten dabei zuzusehen, wie sie zu Playback-Musik den Mund auf- und zuklappten.
    »Bring doch ein Programm mit«, forderte ich Lucy auf.
    »Gute Idee«, stimmte Queen Mum zu. Lucy warf mir einen vernichtenden Blick zu.

    Als ich mich bei Friedrich über meine Mutter beklagte, schaute er kurz von seinem Wissenschaftsmagazin hoch.
    »Nimm sie einfach nicht so ernst. Du regst dich viel zu sehr auf.«
    Ich schnaubte. »Du hast gut reden! Du hältst dich aus allem raus und überläßt mir den ganzen Ärger.«
    »Darf ich dich daran erinnern, daß sie deine Mutter ist?«
    Er wollte sich wieder in seinen Artikel über Organtransplantation versenken. Wütend riß ich ihm die Zeitschrift weg.
    »Kannst du dich einmal für das interessieren, was mich beschäftigt?«
    Er nahm mir die Zeitschrift wieder ab.

    »Du bist fast vierzig und benimmst dich wie ein kleines Mädchen. Ich habe diese ewigen Streitereien zwischen euch wirklich satt.«
    Wieder machte er einen Versuch weiterzulesen. Jetzt wurde ich hysterisch.
    »Du könntest wenigstens einmal meine Partei ergreifen oder irgendwie zeigen, daß du solidarisch mit mir bist.
    Aber du willst immer nur deine Ruhe. Du bist echt der letzte Macho!«
    Friedrich warf mir einen kühlen Blick zu.
    »Wenn du nicht aufpaßt, wirst du wie deine Mutter.«
    Ich war so außer mir, daß ich ihm am liebsten eine geknallt hätte. Wütend drehte ich mich weg. Hatte ich wirklich so ein Arschloch geheiratet?

Fünf
     
    Herr Hinterseer, Benno, wie ich an jenem denkwürdigen Abend erfahren hatte, gab nicht auf. Er rief zwar nicht mehr an, aber eines Mittags erwartete er mich vor der Bank.
    »Darf ich Sie ein Stück begleiten?«
    »Sie können mich zum Auto bringen«, erlaubte ich ihm.
    Er reichte mir den Arm. »Ich will gerne was klarstellen.
    Ich suche kein billiges Abenteuer. Ich möchte Ihr Freund sein.«
    Das kam so herzerfrischend naiv, daß ich lachen mußte.
    »Sie sind sehr nett, Benno. Aber an Freundschaft zwischen Mann und Frau glaube ich nicht. Es gibt sicher Ausnahmen, wenn man zusammen in der Schule war oder so. Aber wenn Leute in unserem Alter sich kennenlernen, bleiben sie entweder Bekannte, oder sie verlieben sich ineinander.«
    Mit kummervoller Miene sah er mich an.
    »Sie irren sich, Annabelle. Aber wenn Sie mir keine Möglichkeit geben, kann ich es Ihnen nicht beweisen.
    Ich möchte keine lächerliche Figur abgeben, deshalb werde ich Sie ab jetzt in Ruhe lassen.«
    Abrupt drehte er sich um und ging. Ich sah ihm nach und war nicht sicher, ob ich nicht einen Fehler gemacht hatte.
    So

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