Am Anfang war der Seitensprung
zahlreich waren meine Freunde nicht. Klar kannte ich noch ein paar Leute aus der Schule und aus meiner Zeit bei der Bank. Aber als die damals in der Disco und auf Feten rumhingen und in den Ferien nach Griechenland fuhren, saß ich, gerade zweiundzwanzig geworden, mit dem ersten Kind zu Hause. Jetzt, wo meine Gören aus dem Kleinkindalter raus waren, bekamen die anderen Babys.
Manchmal fragte ich mich, was aus mir geworden wäre, wenn nicht Lucy alles durcheinandergebracht hätte. Ich horte damals Musik von Led Zeppelin, Janis Joplin und Steppenwolf. Mit einer Haarbürste als Mikrofon stand ich vor dem Spiegel und sang inbrünstig mit. »Born to be wild« war mein Lebensmotto, und natürlich: »This is the first day of the rest of your life!«
Ich stand auf Motorräder, sparte heimlich für den Führerschein und träumte von einer Harley. Ich war knapp davor, bei den »Biker Angels« aufgenommen zu werden, einer Clique von Rockern, die unsere biedere Wohngegend unsicher machte und der Schrecken aller Eltern war.
Ich war mit Panne, einem aus der Gang, in die Schule gegangen. Nachdem ich ein Jahr an ihn hingebaggert hatte, versprach er, meine offizielle Aufnahme zu beantragen. Aber dazu kam es nicht mehr. Warum ich ausgerechnet an Friedrich klebengeblieben bin, der ehrgeizig sein Studium durchzog und Motorradfahren pubertär fand, ist mir nie ganz klar geworden. Vielleicht war es das Verläßliche, das mir an ihm gefallen hatte.
Außerdem war der äußerlich so brave Junge eine Kanone im Bett. Ich kannte keinen, der so lange konnte und dabei so liebevoll darauf bedacht war, daß ich meinen Spaß hatte. Und schließlich hatte er mich geschwängert. Ein Sieg der Hormone.
Ich habe es geschafft, Panne zu überreden, mich auf einen nächtlichen Motorradausflug der Clique mitzunehmen.
Wir sind durch die Dunkelheit gerast, über uns der Sternenhimmel, vor uns das helle Band der leeren Landstraße. Jetzt liegen wir in unsere Schlafsäcke gemummelt rund um ein Lagerfeuer am Ufer des Sees und trinken Apfelkorn aus Flaschen. Aus der Finsternis lösen sich drei Gestalten auf Fahrrädern und kommen auf uns zu.
» Ganz schön kalt heute nacht. Dürfen wir uns zu euch setzen? « fragt einer von ihnen.
Ich bin gespannt, wie Ali, der Anführer der Rockergruppe, auf die Eindringlinge reagiert. Heute abend scheint er friedlich gestimmt. Zu meiner Überraschung fängt er keinen Streit an.
» Von mir aus « , brummt er, und die drei Jungs scharen sich fröstelnd ums Feuer. Auch sie haben Decken und Schlafsäcke dabei, und es sieht aus, als beabsichtigten sie, die Nacht hier zu verbringen.
Im Feuerschein sehen die drei ganz nett aus, wenn auch ein bißchen harmlos mit ihren kurzen Haaren und den braven Klamotten. Meine Rocker machen sich einen Spaß daraus, die Bubis zu foppen. Die reagieren gutmütig, so daß alle friedlich bleiben. Ich bemerke, daß einer der drei mir Blicke zuwirft und mich schüchtern anlächelt.
Ich knutsche mit Panne, weil ich hoffe, dadurch endlich in die Clique aufgenommen zu werden. Betrunken vom Apfelkorn schlafe ich in seinen Armen ein. Irgendwann nachts merke ich, wie ich geküßt werde. Ich küsse zurück, immer in der Hoffnung, endlich eine richtige Rockerin zu werden. Wir knutschen eine Weile. Bald bin ich wieder eingeschlafen.
Ich erwache durch einen wütenden Aufschrei. Über mir steht Panne und brüllt zu mir runter. Ich liege im Arm des einen Radfahrers, der mich am Abend angelächelt hat.
Benommen richte ich mich auf. Im nächsten Moment trifft mich ein Schlag ins Gesicht. Der Radfahrer springt auf und will Panne wegschubsen, da holt der noch mal aus und schlägt auch ihm ins Gesicht. In Sekundenschnelle bricht eine Prügelei aus. Die drei Eindringlinge erkennen sofort, daß sie schlechte Karten haben. Sie springen auf die Räder und flüchten. Als ich Pannes Gesicht sehe, beschließe auch ich, mein Heil in der Flucht zu suchen.
» Wartet! « rufe ich.
Mein nächtlicher Küsser hält an und läßt mich auf seinen Gepäckträger steigen. Wir schlingern über die Wiese, in Richtung der rettenden Straße; die Rocker brüllen Verwünschungen hinter uns her.
Ich erinnere mich plötzlich, wie angenehm sich die Küsse des Jungen angefühlt haben.
» Wie heißt du eigentlich! « rufe ich nach vorn.
» Friedrich « , antwortet er und dreht den Kopf so weit, daß wir fast das Gleichgewicht verlieren.
Friedrich. Was für ein komischer Name! Ich denke an einen Offizier in Feiertagsuniform oder an
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