Am Anfang war der Seitensprung
rauszukommen«, feixte er.
»Gefärbtes Leder kann Giftstoffe enthalten, die die Haut reizen«, warnte mich Queen Mum, »wo du doch ohnehin so empfindlich bist.«
Sollte ich demnächst eine Ganzkörperallergie kriegen, war wenigstens geklärt, daß die Hose schuld war und nicht sie. Trotzig beschloß ich, mich von den niederschmetternden Reaktionen meiner Lieben nicht entmutigen zu lassen. Das Selbstbewußtsein würde ich doch wohl aufbringen! Ich war siebenunddreißig, wahrhaftig nicht zu alt für eine Lederjeans.
Es klingelte, Doro kam, um mich abzuholen. Da stand sie, schmal und schlank, in der gleichen Hose wie ich.
Nur, daß ihre mindestens drei Nummern kleiner war und immer noch locker saß, während meine knalleng an mir klebte und wenig schmeichelhaft meine Problemzonen betonte.
»Ich zieh mich nur schnell um«, murmelte ich und entschwand. Ich Idiotin, über zweihundert Mark hatte ich hingeblättert für ein Teil, das ich in diesem Leben nicht mehr tragen würde. Ich stieg in meine ausgeleierte Lieblingsjeans und einen wohnlichen Pullover. Scheiß drauf, ich mußte ja nicht gut aussehen. Ich hatte ja schon einen Mann.
Die alten Säcke von ZZ Top sahen auch nicht mehr besonders gut aus, eher wie Scheintote, aber sobald sie loslegten, wirkten sie wieder ziemlich lebendig. Die Vollbärte wippten im Takt zu »Rough guys«, die Menge tobte, ich tanzte wie von Sinnen. Ich hatte total vergessen, was für ein geiles Gefühl das war! Ich warf den Kopf zurück und brüllte mit geschlossenen Augen den Text mit.
Mein Körper war wie unter Strom, ich spürte die Musik mit jeder Faser. Hier war das Leben, und wo war ich? Wie hatte ich es sechzehn Jahre ausgehalten, ohne zu tanzen?
War ich überhaupt mal jung gewesen? Plötzlich fühlte ich mich betrogen. Zehn Jahre, in denen ich unbeschwert meine Jugend hätte genießen können, waren unwiederbringlich dahin. Verschwendet mit Windeln wechseln, Wäsche waschen, Hemden bügeln und Socken stopfen. Verzweifelt warf ich mich dem Rhythmus in die Arme, tobte meine Trauer über die verlorene Zeit aus, stampfte meine Wut in den Boden.
Mein Stiefelabsatz landete auf dem Fuß eines ziemlich finster aussehenden Typen, der ohne weitere Umstände ausholte und seine Faust auf meine Oberlippe plazierte.
»Wohl nicht ganz dicht, die Torte!« hörte ich noch, dann ging ich zu Boden.
Als ich wieder zu mir kam, lag ich auf einer Trage in einem Sanitätsraum, grelles Licht aus Leuchtstoffröhren stach mir in die Augen. Doro saß neben mir und preßte einen Eisbeutel auf meine Lippe. Fühlte sich an, als hätte mich eine Wespe gestochen. Die Haut war gespannt, die Schwellung pochte.
»Heh, Anna, alles klar?« fragte Doro.
Ich nickte.
Die Band spielte »Party on the patio«, ich schoß in die Höhe.
»Das ist mein Lieblingslied, ich muß tanzen«, rief ich aus und sackte im gleichen Moment auf der Trage zusammen.
Mein Kreislauf machte schlapp, erst langsam hörten die Sternchen in meinem Kopf auf zu blinken. Ein Sanitäter beugte sich über mich, fühlte meinen Puls, betastete vorsichtig meine Lippe.
»Da haben Sie Glück gehabt, die ist nicht geplatzt. In ein paar Tagen ist die Schwellung weg.«
Er gab mir einen frischen Eisbeutel. Als ich wieder auf den Beinen war, zog Doro mich zurück in die Halle.
Zugabe! Die Jungs hatten sich in ihre Glitzerjacken geworfen und gaben ihr Letztes. Mit dem Eisbeutel im Gesicht rockte ich mit, so gut es ging. Ein klasse Abend, fand ich. Zufrieden trug ich meine dicke Lippe nach Hause.
Hämische Gesichter am Frühstückstisch. »Mama ist ’ne Schlägerbraut, hat dem Typ aufs Maul gehaut«, sang mein Sohn in liebevoller Verkennung der Tatsachen. »Krieg ich ’ne Kassette von ZZ Top?« fragte er dann. Jonas und ich hatten so ziemlich den gleichen Musikgeschmack.
Friedrich gab seiner Hoffnung Ausdruck, daß ich geheilt sei von solchen Unternehmungen, und Lucy stellte fachmännisch fest, so was Verabscheuungswürdiges käme nur unter Rockern vor. Bei einem Konzert der »Spice Girls« oder einer ihrer geliebten Boy Groups wäre das undenkbar. Ich hütete mich zu sagen, bei diesen Bands sei ja die Musik allein schon Körperverletzung.
Ich freute mich auf das Gesicht meiner Mutter. Es war fast wie früher, als ich mit zerrissenen Klamotten oder schlammverkrusteten Schuhen nach Hause gekommen war, ein bißchen ängstlich vor dem drohenden Donnerwetter, aber auch freudig erregt bei dem Gedanken, Mummy zu ärgern.
Queen Mum reagierte nicht.
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