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Am Anfang war der Seitensprung

Am Anfang war der Seitensprung

Titel: Am Anfang war der Seitensprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amelie Fried
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hatten. Marthe war als Kind geprügelt worden, Wiltrud ließ durchblicken, daß ihrem Mann gelegentlich der Gaul durchging, und Horst gestand den Tränen nahe, daß er seiner Frau ins Gesicht geschlagen habe, als sie ihm mitteilte, sie würde ihn verlassen.
    Plötzlich bekam ich eine absurde Sehnsucht nach zu Hause. Ich wollte sehen, wie Jonas im Bett lag, die Decke um seine Beine gewickelt, den Daumen im Mund, mit wirrem Haar und roten Bäckchen. Ich wollte seine Wärme fühlen, seinen Kindergeruch einatmen. Ich wollte Lucys verfilzten Haarschopf sehen, ihren Körper, der im Schlaf noch ganz kindlich wirkte, ihre Hand, auf der manchmal ein in langweiligen Schulstunden entstandenes Herz oder eine Blume zu erkennen war. Und ich wollte Friedrich sagen, daß ich stolz auf uns war, weil wir bisher alles so gut hingekriegt hatten.

    Als ich heimkam, war der Teufel los.
    Jonas saß heulend im Bett, Queen Mum versuchte, ihn zu beruhigen, sprang aber immer wieder hoch und lief aufgeregt hin und her, unverständliches Zeug vor sich hinmurmelnd.
    »Lucy hat einen Unfall gehabt«, informierte mich Friedrich knapp, »ich fahre ins Krankenhaus.«
    Ich fühlte mich, als habe jemand mit einer riesigen Faust in meinen Magen geschlagen. Einen Moment dachte ich, ich müßte mich übergeben. Der Schock zog mir das Blut aus den Gefäßen, ich spürte, wie ich blaß wurde und anfing zu zittern.
    »Ich komme mit«, stammelte ich.
    »Ruft mich bitte an!« rief Queen Mum uns nach.
    An die Fahrt kann ich mich nicht mehr erinnern.
    Friedrich und ich sprachen kein Wort. Wirre Bilder rasten durch meinen Kopf.
    Lucy als Baby, Lucy als Krabbelkind, Lucy auf dem Dreirad, Lucy an ihrem ersten Schultag. Lucy mit Blinddarmdurchbruch, banges Warten vor dem Operationssaal.
    Lucy lachend in einer Gruppe anderer Kinder und weinend nach dem Tod ihrer Katze. Lucy nackt am Meer, ihr kleiner, verletzlicher Kinderkörper. Was, wenn dieser Körper gleich zerschmettert vor mir liegen würde? Wenn sie ihr ganzes Leben an den Rollstuhl gefesselt bliebe?
    Was, ja was, wenn sie stürbe? Ich stöhnte auf, die Übelkeit schwappte erneut in mir hoch. Diesen Gedanken durfte ich nicht denken.
    Im Krankenhaus ging die Folter weiter. Wir durften nicht gleich zu ihr. In zunehmender Panik rannte ich den Flur auf und ab, jede Sekunde, die verging, schien eine Bestätigung dafür, daß es schlimm um Lucy stand.
    Endlich winkte uns eine Schwester in ihr Zimmer. Lucy lag in einem dieser Betten, umgeben von Geräten und Schläuchen, die einen das Schlimmste befürchten lassen.
    Ein Arm und ein Bein waren eingegipst, im Gesicht hatte sie Platzwunden und Blutergüsse. Sie hielt die Augen geschlossen. Man hätte denken können, sie sei tot.
    »Lucy?« flüsterte ich mit erstickter Stimme. Durch einen Tränenschleier sah ich, wie sie langsam den Kopf drehte und die Augen öffnete.
    Ich setzte mich zu ihr ans Bett. Ich wagte nicht, sie anzufassen, weil sie aussah, als würde ihr jede Berührung Schmerzen verursachen.
    »Wie geht’s dir, mein Kleines?« fragte ich.
    »Na ja«, piepste sie, »ich hatte schon mehr Spaß.«
    Gerührt streichelte ich mit den Fingerspitzen eine Stelle an ihrem Arm, die unversehrt aussah. Mein tapferes kleines Mädchen!
    »Seid ihr sauer?« fragte Lucy und sah mich und Friedrich, der sich einen Stuhl ans Bett gezogen hatte, mit Kleinsündermiene an.
    Sauer, wie kam sie denn darauf? Ich war heilfroh, daß mein Kind am Leben war!
    Ein Arzt betrat das Zimmer. Er gab erst Friedrich die Hand, dann mir.
    »Wird sie wieder in Ordnung kommen?« fragte ich aufgeregt.
    Er wiegte den Kopf hin und her.
    »Die Brüche im Bein sehen ziemlich übel aus, viel hätte nicht gefehlt, und es wäre nicht mehr zu retten gewesen.«
    Mir wurde wieder flau.
    »Was … was heißt das? Wird sie wieder normal laufen können?«
    »Wir tun, was wir können. Eine Garantie gibt es nicht.
    Alles in allem hat ihre Tochter großes Glück gehabt.«
    Wahrscheinlich mußte man es so sehen. Selbst wenn ihr Bein steif bliebe oder sie keinen Sport mehr treiben könnte, wäre das ein vergleichsweise kleines Unglück angesichts dessen, was hätte passieren können.
    Ich dachte an Marco. Obwohl ich wütend war, daß er Lucy in diese Lage gebracht hatte, hoffte ich doch, daß auch ihm nichts Schlimmes passiert war.
    »Wie … sieht eigentlich Marcos Auto aus?« fragte ich vorsichtig.
    »Wieso Marcos Auto?« hörte ich Friedrichs Stimme.
    »Lucy hat meinen Wagen zu Schrott

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