Am Anfang war der Seitensprung
schien die Entfernung zu wachsen, ich wußte nicht, was ich dagegen tun konnte.
Jeder Satz zwischen uns wurde zu einem Mißverständnis, jede noch so banale Alltagsäußerung enthielt einen unausgesprochenen Vorwurf.
Wenn sie sagte: »Reich mir doch bitte die Butter«, verstand ich: »Warum bist du so unaufmerksam und rücksichtslos?«
Wenn ich Jonas vorschlug: »Komm, wir gehen ins Kino«, sah ich ihr an, daß sie heraushörte: »Nichts wie weg hier, ich kann deine Großmutter nicht mehr sehen!«
Und, ehrlich gesagt, wahrscheinlich fühlte ich es auch so, ganz tief innen. Trotzdem litt ich unter der Kälte zwischen uns, wollte mich in ihre Arme werfen, wieder ihr kleines Mädchen sein, ihr Anna-Kind, ihre einzige, liebste Tochter. Das alles war ich doch mal gewesen, damals, als ich mich noch ganz und gar im Bannkreis ihrer mütterlichen Macht befunden hatte.
Was, wenn ich jetzt einfach aufstünde und zu ihr ginge?
Wenn ich sie umarmte und ihr sagte, daß ich sie liebe?
Und daß ich niemals aufhören würde, ihre Tochter zu sein? Ich schlug die Hände vors Gesicht und schluchzte laut auf. Friedrich erwachte mit einem Seufzer, zog mich an sich und murmelte schlaftrunken: »Was ist, hast du schlecht geträumt?«
Weinend preßte ich mich an ihn, küßte sein Gesicht, seinen willenlosen Mund, seinen Hals. Wie eine Ertrinkende klammerte ich mich an ihm fest, suchte Halt an seinem Körper. Gleich darauf spürte ich seine Erektion, ich stürzte mich über ihn, hatte das Gefühl, mich tief in ihn zu verbohren, und haltlos weinend erreichte ich einen schnellen, traurigen Höhepunkt.
Ich erwachte mit zwei mehr oder weniger komplett zugeschwollenen Augen. Friedrich stieß einen entsetzten Schrei aus, als er mich sah. Ich hatte das Gefühl, als säßen zwei Kröten auf meinem Gesicht, die eine ätzende Substanz ausschieden. Der Notarzt spritzte mir kommentarlos eine Dosis Cortison, und ich verdämmerte den Tag im Bett. Ich versuchte, innerlich abzuschalten, aber gegen meinen Willen drangen die Geräusche aus dem Haus zu mir.
Jonas und Lucy zankten sich wie üblich. Friedrich, wegen der Klon-Geschichte wütend und deprimiert, tigerte durchs Haus und räumte Zeug von hier nach da. Es würde mich Tage kosten, alles wieder an seinen Platz zu bringen.
Queen Mum hatte sofort das Regiment übernommen, erteilte mit energischer Stimme Anweisungen und verzichtete sogar auf ihren Meditationskurs, um für Friedrich und die Kinder zu kochen. Die Gelegenheit, meine wehrlose Familie mit einem vegetarischen Mahl zu beglücken, ließ sie sich nicht entgehen. Auch ich wurde mit einem Tellerchen Vollkornnudeln bedacht, mangels Alternativen blieb mir nichts anderes übrig, als sie zu essen.
Gegen acht klingelte es an der Haustür. Erschrocken erinnerte ich mich, daß für heute ein Treffen der Kindergarten-Kampfgruppe vereinbart war, und zwar hier bei uns.
Ich sprang in meine Kleider, sprintete ins Bad und versuchte, mich in ein menschliches Wesen zu verwandeln.
Als ich runterkam, weiteten sich die Augen meiner Mitstreiter, die dem ratlosen Friedrich gerade den Zweck ihres Besuches erklärten.
Ich probierte ein entspanntes Lächeln, das meine Gesichtszüge vermutlich noch mehr verzerrte, und entschuldigte mich für meine Vergeßlichkeit. Da unsere Zusammenkunft der Rettung von Kindergartenplätzen diene und nicht der Wahl einer Schönheitskönigin, sähe ich mich trotz meiner Allergie imstande, unsere Besprechung abzuhalten.
Die drei wichen zurück, stammelten ihrerseits Entschuldigungen und verließen das Haus so fluchtartig, daß es mir nicht gelang, sie aufzuhalten.
Bei unserem nächsten Treffen, diesmal wieder »Bei Reni«, erwarteten mich die drei mit betretenen Mienen.
Marthe nahm meine Hand und sah mir tief in die Augen.
»Es tut mir so leid«, sagte sie mitfühlend.
»Wir wußten ja nicht …«, stammelte Wiltrud und brach mitten im Satz ab.
»Können wir irgendwas für dich tun?« fragte Horst.
»Ich weiß, ehrlich gesagt, nicht, wovon ihr sprecht«, sagte ich und sah ratlos in die Runde. »Was tut euch leid?«
Marthe wand sich. Endlich gab sie sich einen Ruck. »Na, daß dein Mann dich schlägt.«
»Daß mein Mann was …?« Ich traute meinen Ohren nicht. Dann mußte ich lachen. »Friedrich mag eine Menge Fehler haben, aber geschlagen hat er mich noch nie.
Ich hatte wirklich eine Allergie, das war keine Ausrede.«
Beim anschließenden Gespräch wurde klar, daß alle außer mir Erfahrungen mit Mißhandlungen
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