Am Anfang war der Seitensprung
willkommen geheißen und mit dem Programm der nächsten Tage vertraut gemacht wurde.
Genüßlich warf ich mich aufs Bett und sah mich um.
Der Raum war in weichen Apricottönen gehalten, das Vorhangmuster wiederholte sich im Bettüberwurf. Der Teppich war taubenblau, ebenso die Handtücher im Bad.
Vom Bett aus konnte ich gemütlich fernsehen, zwei Schritte entfernt war die Minibar, direkt neben mir das Telefon. Bevor ich es richtig merkte, hatte ich schon die Nummer von zu Hause gewählt.
»Hallo, Lucy, alles in Ordnung bei euch?«
Lucy stöhnte am anderen Ende der Leitung auf.
»Oh, Mann, Mami, du bist gerade mal drei Stunden weg, was soll denn passiert sein?«
»Ist o. k., Lucy, du hast recht, ich laß euch jetzt. Wenn irgendwas ist, ihr könnt mich jederzeit erreichen.«
»Ist gut, Mami, viel Spaß!«
Weg war sie.
Nach einem Begrüßungscocktail und dem gemeinsamen Mittagessen stand das erste Seminar auf dem Programm.
»Farbtyp-Beratung« war angesagt, und gespannt betrat ich den Salon Mozart, in dem eine farbenprächtig gekleidete Seminarleiterin auf Interessentinnen wartete.
Ich hatte beim Mittagessen nur eine einzige Kollegin aus meiner Filiale entdeckt; zum Glück war sie auch hier.
Sie war Anfang Zwanzig, sah aus wie eine Schwester von Claudia Schiffer und konnte vermutlich jede Farbe tragen, weil man ohnehin nur auf ihre Figur achtete.
Ich setzte mich zu ihr, und wir unterhielten uns im Flüsterton. Die anderen Teilnehmerinnen tröpfelten nacheinander herein, als niemand mehr kam, schloß die Leiterin die Tür, knipste ein professionelles Lächeln an und begann ihren Vortrag.
Sie sprach darüber, wie wichtig heutzutage gutes Aussehen sei und wieviel leichter es sei, gut auszusehen, wenn man die eigenen Schwächen und Stärken kenne. Sie behauptete, man könne alle Frauen in Typen einteilen, und zwar nach Form und Farbe. Die verschiedenen Formtypen waren Kasten, Eieruhr, Trapez und Birne. Die Farbtypen hießen Frühling, Sommer, Herbst und Winter.
Unauffällig sah ich mir die anderen Teilnehmerinnen an.
Die kräftige Brünette mir gegenüber war sicher ein Kasten. Ob ein Sommer- oder Winterkasten, konnte ich noch nicht sagen. Sabine, meine Kollegin, war zweifellos eine Eieruhr und in dieser Eigenschaft sehr beliebt bei den wenigen männlichen Mitarbeitern der Telefon-Bank.
Irene, wie sich die Leiterin vorgestellt hatte, führte nun die Unterschiede zwischen den Farbtypen vor. Zu diesem Zweck hielt sie Sabine und einer blassen, schwarzhaarigen Frau abwechselnd pinkfarbene und orangefarbene Tücher ans Gesicht. Tatsächlich, Sabines Teint schien bei Orange aufzublühen, während Pink sie blaß aussehen ließ. Die Schwarzhaarige dagegen wurde durch Pink zum Leben erweckt, während sie mit Orange noch fahler wirkte.
»Hier sehen Sie also zwei typische Vertreterinnen des Winter- und des Frühlingstyps. Darf ich jetzt Sie beide zu mir bitten?« sagte Irene und zeigte auf mich und eine weitere Teilnehmerin. Auch wir wurden mit verschiedenfarbigen Tüchern behängt, und unter starker Anteilnahme der anwesenden Damen stellte sich heraus, daß ich ein Herbsttyp war, während es sich bei der Kollegin um einen Sommertyp handelte.
Ich erfuhr noch, daß ich eine Birne wäre, und mit dieser bewegenden Erkenntnis verließ ich das Seminar.
Beim Kaffee traf ich wieder auf Sabine. Sie zeigte sich begeistert von der Veranstaltung, endlich habe sie begriffen, daß ihr keine blaustichigen Farben stünden. Das einzig Dumme sei, daß bisher Blau ihre Lieblingsfarbe gewesen wäre und sie fast nur Kleidungsstücke in dieser Farbe besäße.
Als ich gerade begierig Richtung Kuchenbüffet schielte, schlug Sabine vor: »Laß uns ein bißchen an die Geräte gehen und danach schwimmen!«
Geräte? Was meinte sie bloß? Ach, natürlich diese Foltermaschinen im Fitnessraum. Bestimmt war Sabine eine eifrige Besucherin von Fitness-Studios, von allein kriegte man eben keine Eieruhrfigur.
»Ich habe leider zur Zeit einen Tennisarm«, flunkerte ich schnell, »mein Arzt hat mir streng verboten, an die Geräte zu gehen. Nicht mal schwimmen darf ich.«
»Schade. Na, dann bis später.«
Wie eine Feder schnellte Sabine aus ihrem Fauteuil und verschwand. Als sie außer Sichtweise war, aß ich mit schlechtem Gewissen ein Stück Himbeertorte mit Schlagsahne.
»Erfolg ist lernbar« hieß es am zweiten Tag, und ich war neugierig zu erfahren, wie. Der Veranstaltungsort war der Salon Beethoven, die Seminarleiterin hieß Frau Dr.
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