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Am Anfang war der Seitensprung

Am Anfang war der Seitensprung

Titel: Am Anfang war der Seitensprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amelie Fried
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Hemmler-Selber und war in ein dezentes graues Kostüm gewandet.
    Sie hielt mit leicht näselnder Stimme ein Referat über Erfolg bei Männern und Frauen, persönlichen und beruflichen Erfolg und Erfolgshindernisse. Warum viele Frauen so unzufrieden mit ihrem Leben seien, fragte sie und lieferte die Antwort gleich mit: »Weil Frauen immer noch schlechter bezahlt werden als Männer. Weil deshalb meistens die Frauen den Beruf aufgeben oder pausieren, wenn Kinder kommen. Und weil Männer sich immer noch zu neunzig Prozent vor Hausarbeit und Kinderbetreuung drücken.«
    Nach dem Vortrag brach eine hitzige Diskussion los.
    Man war sich einig, daß die gesellschaftlichen Gegebenheiten es unmöglich machten, alte Rollenmuster zu verändern. Solange Männer die Macht hätten, sei klar, daß Frauen keine echten Karrierechancen hätten. Nur die Schuldfrage blieb ungeklärt. Waren es nun die machtbesessenen Männer oder die unterwürfigen Frauen, die dafür sorgten, daß alles blieb, wie es war? Warum die Arbeit für die Familie so viel weniger wert sein soll als die Erwerbsarbeit der Männer, wagte ich schüchtern zu fragen. Die ganze Meute fiel über mich her, alle ließen plötzlich ihren angestauten Ärger an mir raus.

    »Macht es Ihnen wirklich Spaß, Ihrem Mann die Socken zu waschen?« fragte eine verbittert aussehende Frau mit einem unvorteilhaften Damenbart.
    »Haben Sie keine Lust, selbst Karriere zu machen, statt nur Ihren Mann bei seiner zu unterstützen?« setzte Frau Dr. Hemmler-Selber nach.
    »Also, ich bin zufrieden mit meinem Leben«, stammelte ich, »ich führe eine gute Ehe, habe zwei tolle Kinder, und meinen Job mag ich auch.«
    Erstens stimmte das, und zweitens war ich hier Gast meiner Bank, ich hätte es einfach ungehörig gefunden, über meine Arbeit zu meckern.
    Die anderen zuckten die Schultern und wandten sich ab, als sei mir ohnehin nicht zu helfen. Mit rotem Kopf und dem Gefühl, eine dämliche Hausfrau ohne Ehrgeiz und feministisches Bewußtsein zu sein, saß ich in der Runde.
    Nach dem Abendessen diskutierten die Frauen weiter.
    Alle schienen unzufrieden zu sein, unausgefüllt, ja unglücklich. Die meisten waren entweder Single oder geschieden. Über ihre Kinder sprachen sie, als bestünde das Hauptproblem darin, sie möglichst rund um die Uhr irgendwo unterzubringen, wo sie der Selbstverwirklichung ihrer Mütter nicht im Weg wären. Männer waren entweder böse Chefs, die keine Frau hochkommen ließen, oder böse Ehemänner, die ihre Frauen unterdrückten.
    In dieser Nacht lag ich lange wach.
    Was wollten diese Frauen? Und warum wollte ich anscheinend nichts? Ich war irgendwann zu der Einsicht gelangt, daß man nicht alles haben kann. Eine Familie, Haus, Garten und Nebenjob – war das nicht eine Menge?
    Warum sollte ich jetzt auch noch Karriere machen, Visionen verwirklichen, die Gesellschaft verändern?
    Immer wollten andere mehr aus meinem Leben machen als ich selbst. Zugegeben, der Job in der Bank war vielleicht nicht das, was ich den Rest meiner Tage machen wollte. Ich hatte mal daran gedacht, als Sprecherin zu arbeiten, weil alle meine Stimme so lobten. Ich stellte mir vor, Kindergeschichten zu lesen, für Kassetten. Ich hatte mir sogar schon mal die Telefonnummer einer Firma rausgesucht, die solche Kassetten herstellt. Aber ich hatte mich nie getraut, dort angerufen.
    Ich dachte an Doro, die erfolgreich in ihrem Beruf war, durch die Welt reiste, viel Geld verdiente und trotzdem nicht glücklich war. Und ich dachte an meine Eltern, die immer so enttäuscht gewesen waren, wenn ich ihre Erwartungen nicht erfüllt hatte.

    Wie ich den Handarbeitsunterricht hasse! Seit Wochen quäle ich mich mit einem kleinen gestrickten Bärchen, dessen Wolle schon ganz verfilzt ist von den unzähligen Stunden in meinen verschwitzten Kinderhänden. Mit einer Stopfnadel versuche ich, die mit Watte ausgestopften Einzelteile zusammenzunähen; es ist eine Tortur, ich steche mich, verliere ständig den Faden und bin den Tränen nahe. Endlich erbarmt sich eine Mitschülerin, fügt mit ein paar tanzenden Stichen die Teile zusammen, die Form eines Bären wird erkennbar. Ich sticke zwei Augen und eine schiefe Nase und präsentiere das mit Blut, Schweiß und Tränen getränkte Tier vor Stolz berstend meinen Eltern. Die loben es über Gebühr, versprechen zwecks Betrachtung lebender Bären einen Zoobesuch in naher Zukunft und geben dem Bärchen einen Ehrenplatz auf der Lehne des Sofas, im Wohnzimmer, das sonst Tabuzone

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