Am Anfang war der Seitensprung
und Rumpelkammer.
Das Treppenhaus, an dessen Wänden gerahmte Bilder in allen Größen hingen; Kinderzeichnungen, Fotos, Drucke und Flohmarkt-Fundstücke. Das Bad mit seinen frischen türkis-weißen Fliesen und der edlen Jugendstillampe, den Flaschen und Tuben, dem Kästchen mit meinem Modeschmuck und der Sammlung von Parfümproben.
Jonas’ Zimmer mit dem riesigen, vollgestopften Spielzeugregal, den Postern mit exotischen Vögeln, dem über und über mit Aufklebern verunstalteten Schrank, der mal meiner Großmutter gehört hatte. Queen Mums Zimmer, wo es nach kaltem Rauch stank und stapelweise Bücher rumlagen. Der Abstellraum, in dem alles landete, was keinen festen Platz hatte: Der Dia-Projektor, der nie benutzte Hometrainer, unsere Koffer, ausrangierte Lampen, kaputtes Spielzeug, zu klein gewordene Kinderkleider und alte Möbel.
Und das Schlafzimmer, unser Schlafzimmer. Die himmelblauen Samtvorhänge, der silbergerahmte Spiegel, der blau lasierte Holzschrank, die antike Wäschetruhe und das breite, bequeme Bett. Ich betrachtete dieses Bett, in dem sich vorletzte Nacht der Ehebruch abgespielt haben mußte, der mein ganzes, bislang so überschaubares Leben durcheinandergebracht hatte.
Mehr traurig als wütend ging ich nach unten, räumte gedankenverloren die Küche auf, wischte da und dort ein bißchen Staub und versuchte, wieder Besitz zu nehmen von diesem Haus, in dem ich mich immer so geborgen gefühlt hatte und das jetzt plötzlich feindselig wirkte.
»Mama, bist du wieder da?« hörte ich Jonas’ Stimme, und im nächsten Moment stürmte er herein und sprang mir in die Arme.
»Was ist denn mit deinem Auto passiert? Wo warst du? Nächstes Mal will ich aber mit, o. k.?«
»O. k., mein Schätzchen«, stammelte ich und küßte ihn, fast hätte ich angefangen zu heulen.
Mit ernstem Gesicht betrat Queen Mum die Küche und stellte zwei Einkaufstüten ab. Sie hatte Jonas vom Kindergarten abgeholt. Klappt ja alles prima ohne mich, dachte ich bitter.
Jonas lief in den Garten, meine Mutter setzte sich.
»Wie konntest du das nur tun«, stieß sie hervor. »Rennst bei Nacht und Nebel davon, läßt deine Kinder im Stich, stürzt deinen Mann und deine Mutter in die größten Sorgen, wie alt bist du eigentlich?«
Fassungslos starrte ich sie an.
»Ich? Jetzt bin ich also mal wieder die Böse? Weißt du überhaupt, warum ich abgehauen bin? Weil mein lieber Mann mich beschissen hat! Und zwar nicht mit irgendeiner Frau, sondern mit meiner besten Freundin.
Und nicht irgendwo, sondern in unserem Ehebett!«
Queen Mum wischte meine Worte mit einer Handbewegung weg.
»Ach was. Männer sind eben triebhaft, da kann man nichts machen. Auch dein Vater war kein Engel, glaub mir. Ich bin auch nicht einfach weggerannt.«
»Um so schlimmer! Dann war eure Ehe eine verlogene Scheiß-Ehe, und so eine will ich nicht führen!«
Queen Mum wurde blaß. Immer hatte sie den Mythos von ihrer glücklichen Ehe aufrechterhalten. Ich hatte schon lange das Gefühl gehabt, daß daran was nicht stimmte.
»Du als Mutter hast schließlich Verantwortung«, lenkte sie schnell von sich ab.
»Ah ja? Und Friedrich als Vater hat keine Verantwortung? Der darf nach Lust und Laune in der Gegend rumvögeln und seine Familie zerstören?«
Mit entsetztem Gesicht stand Lucy in der Tür.
»Was erzählst du da?« fragte sie und kniff die Augen zusammen. »So was darfst du nicht über Papa sagen!«
Sie feuerte ihre Schultasche auf den Boden und drehte sich um. Ich sprang auf, versuchte sie aufzuhalten. Sie stieß mich weg.
»Wenn Papa dich betrogen hat, dann hatte er sicher einen Grund.«
Ich zuckte zurück.
»Und welchen, wenn ich fragen darf?«
»Weiß ich doch nicht«, sagte sie grob, »vielleicht langweilt er sich mit dir, oder … du bist ihm zu dick.«
Mit offenem Mund starrte ich sie an.
»Hat er das gesagt?«
»Nein, aber schau dich doch an.«
Ich stand da, mit hängenden Armen, unfähig, diese Gemeinheit zu kontern. Ich hatte das deutliche Gefühl gehabt, mir sei Unrecht geschehen, und jetzt war plötzlich ich an allem schuld.
»Sehe ich das richtig, daß jeder in diesem Haus es in Ordnung findet, daß Friedrich mich betrogen hat?« fragte ich, wobei ich die Worte überdeutlich artikulierte.
Ich sah von meiner Tochter zu meiner Mutter und zurück.
Beide schauten betreten. Queen Mum setzte an, etwas zu sagen, überlegte es sich aber anders.
So war das also. Ich war allein. Ich hatte eine Familie und war trotzdem völlig allein.
»Ich
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